Classic-Review: PEEPING TOM (1960)

peep - Thrillandkill (Horrorfilme und Thriller)
BEWERTUNGEN:
Redaktion: 7

Please rate this

6.8/10 (9)

Darsteller: Karlheinz Böhm, Anna Massey, Moira Shearer, Maxine Audley
Regie: Michael Powell
Drehbuch: Leo Marks
Länge: 101 min.
Freigabe: ab 12
Land:
Genre:
Veröffentlichung: 1960

…oder Des Kaisers neue Kleider

1960 war Karlheinz Böhm sein, durch die SISSI- Trilogie (1955 – 1957) geprägtes Image zu wider. Niemand konnte oder wollte ihn sich in einer Rolle jenseits des Kaiser Franz’ vorstellen, bis Böhm den britischen Regisseur Michael Powell kennenlernte. Powell war in Großbritannien bereits seit 1939 als Regisseur tätig und auch durchaus erfolgreich. Dieser Erfolg war allerdings oftmals auf seine Zusammenarbeit mit dem Autor Emmeric Pressburger zurück zuführen.

Leo Marks schrieb das Drehbuch zu PEEPING TOM. Powell meinte einst, dass er mit dem Protagonisten fühlt, da er den Charakter des Mark Lewis als ultimativen Regisseur ansieht. Jemand, der Emotionen technisch einfängt, so wie er es tut (1).

940_2x

Mark Lewis (Böhm) führt ein Doppelleben. Verdient er sich als Fotograf für diverse Zeitungen seinen Lebensunterhalt, so lichtet er bei Einbruch der Nacht Prostituierte, entstellte Frauen und nachtschwärmende, „aufstrebende“ Starlets (Aktfotomodelle) mit seiner präparierten 16mm Bell & Howell- Kamera ab, um sie danach kurzerhand zu ermorden. Dies tut er mit einem, an der Kamera montierten Messer, damit er keine Sekunde verpasst, ihren letzten Hauch auf Zelluloid zu bannen.
Eine wahre Veränderung in Mark’s Leben stellt sich allerdings ein, als er seine neue Mieterin Helen (Anna Massey)  kennenlernt und in eine Mischung aus perverser Obsession und Liebe verfällt. Ihre Beziehung beginnt bereits mit einem tiefen psychischen Einblick in Mark’s Seelenwelt. Dieser führt Helen Filme aus seiner Kindheit vor. Mark’s Ursprung zum perversen Killer lag bereits in seiner Kindheit und auch der Grundstein zu seinem Fetisch, dem Voyeurismus, wurde dort bereits gelegt. Mark’s Vater, ein anerkannter Wissenschaftler, stellte sein eigenes Kind zum Gegenstand seiner Studien (sowie Regisseur Powell seinen eigenen Sohn die Rolle des Kindes spielen ließ). Er filmte Mark in jeder Lebenslage, die er immer mit Sticheleien und Foltereien präparierte um seinen Sohn seelisch zu deformieren und sozial introvertiert verkümmern zu lassen. Das alles im Namen der Wissenschaft.

Ein Mörder wird immer ein Mörder bleiben, deshalb ist auch die Beziehung zwischen Helen und Mark zum scheitern verurteilt. Amor Vincit Omina – Auch wenn Liebe über allem zu stehen scheint, so ist es der doch leidenden Seele Mark’s schier vergönnt, sein altes Leben zu läutern und die rettende Hand Helen’s zu ergreifen. Der Strudel der sexuellen Obsession und der Gewalt sitzt zu tief verankert in seiner Welt. Ein anderes Leben hat er nie genießen dürfen und so scheint auch das Ende der jungen Liebschaft bereits besiegelt.

peepingtom eye Powell gelang es in PEEPING TOM nicht eine ästhetische Erotik in Szene zu setzen. Vielmehr degradiert er den weiblichen Körper und beweist damit sogar exploitative Aspekte, noch bevor das Genre entstand. Vielmehr war dies doch der Anreiz zur Zensur, denn 1960 war Sex und Gewalt im Kino noch nicht geduldet. Auch in dieser Hinsicht nimmt PEEPING TOM eine Pionierstellung ein.

Nach seiner Premiere am 16.Mai 1960 wurde der Film weltweit öffentlich verrissen und sogar durch die Medien boykottiert. Er zerstörte die Karriere von Michael Powell und auch für Karlheinz Böhm stellte sich nicht der gewünschte Effekt ein sein Saubermann-Image ablegen zu können. Die TIME schrieb: „…der Film sei ein solcher Dreckhaufen, daß selbst, wenn man ihn in die Toilette würfe, noch ein Fleck in der Toilette zurückbleiben würde…“ (2).

Jetzt, nach fast 55 Jahren weiß man, dass PEEPING TOM ein moderner Klassiker der Filmgeschichte ist, welches zu diesen Zeitpunkt noch in den Kinderschuhen steckte (immerhin wurde der Cinématograph erst 1895 durch die Gebrüder Lumiere der breiten Öffentlichkeit vorgestellt). Wenn man so will kann PEEPING TOM als Markierungspunkt dienen, welcher die Einführung dessen einläutet, was man heutzutage gemeinhin als Arthouse bezeichnet. Ferner wurde ihm posthum die Aufmerksamkeit zugesprochen, die ihm eigentlich von vornherein gebührte (u.a. „…über Jahre hinaus unterschätzt und von der etablierten Kritik verschmäht…stellt den Schlüsselfilm schlechthin des Genres dar.“ aus Die Angst sitzt neben dir v. Frank Trebbin im Selbstverlag und „Sogar verglichen mit dem Schwarzweiß von Alfred Hitchcocks in gewisser Weise ähnlich gesonnen Schocker PSYCHO (ebenfalls ist der intensive PEEPING TOM unmittelbarer und letztlich beängstigender.“ 1001 Filme von Steven J. Schneider im Verlag Edition Olms).

Einen großen Beitrag zu diesem Film leistete 1976 der ambitionierte Regisseur Martin Scorsese, der PEEPING TOM komplett restaurieren ließ und in Europa erstmals ungekürzt wieder aufführte. Dies war der Beginn des verspäteten Ruhms des Films und der Kennzeichnung als Meisterwerk nicht nur für das Horrorgenre. Denn auch für andere europäische Regisseure wie Dario Argento war PEEPING TOM ein enormer Einfluss für das filmische Schaffen und auch Impulsgeber „bedrohlicher Blicke“(3) für diverse Giallo’s der siebziger Jahre.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

(1) „I felt very close to the hero, who is an absolute director, someone who approaches life like a director, who is conscious of it and suffers from it. He is a technician of emotion. And I am someone who is thrilled by technique“ – (Zit. nach Stein) / Quelle: „Filmgenres: Horrorfilme“ // Ingrun Müller // Hrsg. Ursula Vossen // Philipp Reclam jun. Stuttgart.

(2) „Meine Hoffnung, aufgrund dieses Films eine internationale Karriere zu machen, war nicht nur groß, sondern voller Illusion…Ich dachte also, dass ist der absolute Sprung in den großen Weltmarkt und zu großen Regisseuren…Powell sagte aber damals schon, daß der Film von seiner Zeit nicht verstanden werden wird…Allerdings das Desaster, den totalen Reinfall…hat er, glaube ich, nicht vorausgesehen, genausowenig wie ich es vorausgesehen hatte…Eine so angesehene Zeitung wie die TIME hat dann geschrieben, Der Film sei ein solcher Dreckhaufen, daß selbst, wenn man ihn in die Toilette würfe, noch ein Fleck in der Toilette zurückbleiben würde und solche Scherze!…“ – Quelle: Karlheinz Böhm im Interview für den WDR 1980.

(3) „Threatening Glances – Voyeurism, eye-violation and the camera : from PEEPING TOM to OPERA“ – Quelle: „Art of darkness – The cinema of Dario Argento“ von Chris Galland // Fab Press.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert