Nicht nur wird der Kultfilm THE CROW mit Brandon Lee 30 Jahre alt, er erhält 2024 auch eine Neuverfilmung bzw. wenn man es genauer nimmt eine Neuadaption, denn schließlich beruht er auf der Graphic Novel von James O’Barr.
Der hatte bereits in der frühen 80ern mit der Arbeit an THE CROW begonnen, weil er den Unfalltod seiner Freundin verarbeiteten wollte. Auch wenn natürlich niemand auf die Idee kommt, THE CROW als „based on a true story“ zu verkaufen, die Trauer, die einen nicht unerheblichen Anteil ausmacht, ist autobiografisch.
Wir wollen uns heute aber nicht nur anschauen, ob Comic und/oder Film einen Kauf wert sind (Spoiler: beide sind dringend zu empfehlen), sondern auch was sie teilen, wo sie sich unterscheiden und wie viel Spielraum dadurch für den neuen Film entsteht.
Wovon handelt THE CROW?
Die Geschichte ist natürlich in beiden Varianten vergleichbar. Ein Jahr nachdem seine Verlobte Shelly von einer Gang brutal vergewaltigt und getötet wurde und auch er selbst erschossen wurde, kehrt Eric Draven von den Toten zurück und will Rache. Sein Begleiter ist eine Krähe…aber auch Trauer.
Krähe vs. Krähe
Dass diese Krähe in der gezeichneten Version hin und wieder zu Eric spricht und im Film schweigt, ist ein Detail, das in der jeweiligen Variante Sinn ergibt. Ein sprechender Vogel hätte im Film womöglich albern ausgesehen, zumal sich das unsichtbare, intuitive Band zwischen den beiden in bewegten Bildern auch wortlos gut darstellen ließ. Diesen Luxus hatte O’Barr beim Zeichnen nicht, allerdings lief er auch nicht Gefahr, dass die Krähe wie ein lustiger Papagei daherquatscht.
Mehr Verlust, weniger Widerstand
Viele der weiteren Unterschiede sind ebenfalls Details. Beispielsweise heißt das Mädchen, das nachts durch die Straßen streift, während seine drogensüchtige Mutter mit jenen Männern herumhängt, die Eric zur Rechenschaft ziehen will, in der Graphic Novel Sherri, im Film aber Sarah. Mutmaßlich kam die Namensänderung daher, weil man eine Verwechslung der ähnlich klingenden Sherri und Shelly vermeiden wollte.
Auch die gemeinsame Vergangenheit der beiden Ermordeten mit Sherri wurde im Film hinzugedichtet.
Sherri vs. Sarah
Aber es finden sich weitere Figuren, die für die cineastische Adaption angepasst wurden. Aus den beiden Polizisten Cptn Hook und dem jungen Albrecht wird im Film ein einziger Cop.
Und zuletzt ist Oberbösewicht Top Dollar nicht nur der Anführer einer kleinen Gang, wie es in der Graphic Novel gezeigt wird, sondern tatsächlich einer, der sich vom Tagesgeschäft fernhält und scheinbar die ganze Stadt unter sich hat. Er ist in der Adaption nicht direkt an der Ermordung des Paares beteiligt, ist allerdings der Auftraggeber. Und hieraus entsteht auch ein neues Motiv, denn während James O’Barr vorsieht, dass Eric und Shelly nach einer Autopanne zufällig in die Hände der Verbrecher fallen, werden diese in der Umsetzung von Regisseur Alex Proyas auf Geheiß von Top Dollar gezielt in ihrem Zuhause aufgesucht.
Durch diese Darstellung wird auch die ganze Geschichte größer.
Top Dollar ist kein Arbeiter
Zwar bleibt die Handlung in dunklen Gassen, rauchigen Clubs und schmierigen Pfandleihen verortet, der Top Dollar im Film (gespielt von Michael Wincott) ist aber ein klassischer Endgegner, der wie ein böser Overlord über die Stadt wacht. Und so kontrolliert wie dieser Top Dollar das Chaos unter ihm regiert, wird der pure Dreck des Comics im Film sinnigerweise durch edler wirkende Gothic-Elemente entzerrt.
Übrigens, auch Top Dollars sinistre Schwester (unten rechts im folgenden Bild) wurde für den Film komplett neu erschaffen.
Top Dollar vs. Top Dollar
Die wohl größten Differenzen zeigen sich aber an anderer Stelle.
Zum einen stößt Eric im Comic auf keinen Widerstand. Er muss nicht vor der Polizei flüchten, er muss nicht Sherri/Sarah retten, er wird auch nicht verletzt. Im Film kann er im Finale angeschossen werden, weil seine Krähe verletzt wird. Dramaturgisch ergibt das Sinn, wirkte aber auch nie so richtig rund. Andererseits ist sein Durchmarsch in der gezeichneten Variante weniger aufregend.
Insbesondere die Enden unterscheiden sich dadurch doch erheblich.
Was in der Graphic Novel ebenfalls schwerer wiegt ist die Trauer und wie erwähnt, war diese der originäre Anlass für O’Barr. Auch Proyas baute in seinem Werk schmerzhafte Flashbacks ein, O’Barr ergänzt diese aber durch Metaphern, wie beispielsweise eine Szene, in der Eric in einem Zug sitzt und ein wunderschönes weißes Pferd sieht, das sich plötzlich in Stacheldraht verfängt.
Diese Trauer führt bis zur Selbstverletzung und wer sich fragt, warum Eric im Film ab einem gewissen Punkt Tape um die Arme gewickelt hat, die Antwort bietet die Graphic Novel, wo man sieht, wie er sich mit einem Rasiermesser tiefe Schnitte an den Unterarmen zufügt, die er dann mit Klebeband versteckt.
Es ist gut möglich, dass der Film diese Szene auch enthielt, aber man entschied, sie zu entfernen, um niemanden mit potentiell suizidalen Absichten zu triggern.
THE CROW vs. THE CROW vs. THE CROW
Zuletzt ist der unterschiedliche Look, bzw. die Frisuren der beiden Erics zu nennen und an dieser Stelle kann man bereits leise auf den dritten Eric zu sprechen kommen, dessen Aussehen nach Auftauchen erster Filmbilder der 2024er Filmversion gelinde gesagt nicht nur auf Gegenliebe stieß.
Comic-Eric sieht eindeutig nach 80ern aus und die flauschig-stachlige Haarpracht war zu Erscheinen des Films schon außer Mode. Brandon Lees schulterlange Frisur war natürlich auf die Grunge/Alternative-Zeit zugeschnitten und passte (wie der gesamte Film) perfekt in die 90er, ist allerdings auch zeitlos genug, um damit heute nicht aufzufallen.
Eric Draven vs. Eric Draven vs. Eric Draven
Auch Bill Skarsgårds Äußeres ist seiner Zeit angepasst und glaubt man den ersten Versprechungen des Trailers wird die 2024er-Version die farbenfrohste der drei, denn während das Comic ohnehin in Schwarz und Weiß gehalten war und Alex Proyas zwar in Farbe drehte, aber seine Farbgebung merklich daran anlehnte, wird der neueste Film zwar in entsättigter Colorierung stattfinden, aber rein optisch wohl die hellste der drei Umsetzungen.
In weiteren Mutmaßungen wollen wir uns an dieser Stelle jedoch nicht verlieren und empfehlen euch, sowohl den bekannten Film mal wieder zu sehen, als auch die Graphic Novel durchzublättern. Denn glücklicherweise gibt es hier keinen Verlierer und trotz ein paar Abwandlungen bleibt THE CROW eine eigentlich einfache, aber greifbare und hocheffektive Geschichte über Liebe, Wut, dunkle Posie, Trauer und Tod.
Hier könnt ihr den Film sehen
und hier die Graphic Novel kaufen
Die unzähligen Film-, Comic- und sogar Roman-Ableger könnt ihr euch aber getrost sparen.