Es ist wohl nicht ganz verkehrt, wenn man Streamingdienste als modernes Fernsehen bezeichnet.
Inzwischen scheint Netflix aber auch in der Zukunft angekommen…und das mit einem Film, der 1984 spielt.
Story:
Der Spieleentwickler Stefan Butler wird von einer Softwarefirma damit beauftragt einen komplexen Fantasyroman als Computerspiel zu adaptieren. Was für den jungen Mann wie eine berufliche Chance klingt, entwickelt sich zu einem Alptraum, bei dem Stefan über den Romanautor erfährt, dass dieser zum Mörder wurde und bald nicht mehr weiß, ob er noch die Fäden in der Hand hält oder selbst zur Marionette wird.
Über BLACK MIRROR: BANDERSNATCH wird man lange sprechen….und das zu Recht, denn es handelt sich dabei um einen interaktiven Film.
Versuche dieser Art gab es freilich schon früher, sei es als Film oder Computerspiel, man hat aber den Eindruck, dass genau jetzt die Zeit reif ist, diese Herangehensweise mit den Möglichkeiten des Streamings sinnvoll zu verbinden und dauerhaft zu etablieren.
Konkret bedeutet das, dass man als Zuschauer alle paar Minuten eine Entscheidung zu treffen hat. Das reicht von der Wahl des Frühstücks bis hin zur Zustimmung zum Mord.
Es ist aber nicht nur Entscheidungsfreude gefragt (es bleiben etwa 10 Sekunden), man begegnet dem Film zwangsläufig auch mit der nötigen Aufmerksamkeit. Ein Werk wie BANDERSNATCH nebenbei zu schauen, verbietet sich aber ohnehin auf allen Ebenen.
Es verbietet sich übrigens auch ein gewöhnliches Review zu verfassen, denn durch die Bestimmungsmöglichkeiten sieht jeder einen anderen Film. Allerdings bewahrt uns die Geschichte vor völlig fehlgeleiteten Wegen, so dass es zwar angeblich fünf unterschiedliche Enden gibt, der Großteil aber ähnlich aussehen dürfte.
Und dort gibt es vieles zu entdecken. Nicht nur spielt der Film 1984 und gesellt sich damit zu anderen 80er-Throwback-Werken wie SUMMER OF 84 oder STRANGER THINGS, er geht auch auf die damalige Computerszene ein.
Das alleine macht noch keinen Ausnahmefilm, aber als sich Stefan Hilfe beim Profi Colin sucht, der ihn zu einem LSD-Trip einlädt und dabei über Pac Man und die Möglichkeit mehrerer Leben philosophiert, bekommt man eine Vorahnung, wie BANDERSNATCH tickt.
Das was wir im Film sehen, nämlich die Entstehung einer komplexen (Spiele-)Handlung, die unzählige Weggabelungen bereit hält und notfalls einen Neustart erfordert, ist auch genau was wir als Herrscher der Fernbedienung mit Stefan tun.
Spätestens wenn dieser an einem Punkt sagt, dass er sich mehr als Herr über seine eigenen Entscheidungen fühlt, ist das ein Augenzwinkern auf die andere Seite des Bildschirms.
BANDERSNATCH bricht die sogenannte vierte Wand zwischen Handlung und Zuschauer und das in beide Richtungen. Wir nehmen Einfluss und erhalten Feedback des Protagonisten.
Das ist jedoch noch nicht alles, denn der Film schreitet auf mehreren Metaebenen. Das geht soweit, dass Stefan 1984 erklärt wird, was Netflix ist.
Übrigens dürfte das Jahr 1984 nicht zufällig gewählt sein. Anspielungen auf George Orwells gleichnamigen Überwachungs-Roman finden sich ebenso wie kleine ALICE IM WUNDERLAND – Referenzen (das Kaninchen und der Filmtitel selbst).
Sucht man das Haar in der Suppe, ist es bei BANDERSNATCH wohl die Tatsache, dass sich manche Szenen (ähnlich wie man das aus UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER und Konsorten kennt) einige Male wiederholen. Das liegt aber in der Natur der Sache.
Ein anderer Kritikpunkt wäre, dass dem Betrachter zwar eine Wahlmöglichkeit suggeriert wird, aber eine Stelle im Film deutet an, dass die gar nicht besteht. Wie schlaue Köpfe jedoch herausfanden, führt zwar nicht jede Entscheidung zu einer Veränderung (es ist egal, was ihr zum Frühstück esst), wie im echten Leben gibt es aber solche, die den Ausgang tatsächlich verändern.
Sicher wird nicht jeder kommende interaktive Film den Wahnwitz und die Cleverness haben, die BANDERSNATCH an den Tag legt, trotzdem könnte hiermit ein gewaltiger Grundstein für einen neuen Trend gelegt worden sein.
Noch ein Wort zum handwerklichen Teil:
die 80er Jahre werden glaubhaft eingefangen, ohne es mit Neonfarben zu übertreiben. Fionn Whitehead (DUNKIRK) nimmt man seinen Part problemlos ab, in einer Nebenrolle glänzt u.a. Will Poulter (REVENANT) und Regisseur David Slade (30 DAYS OF NIGHT, HARD CANDY) und Autor Charlie Brooker (DEAD SET) schaffen es problemlos den komplexen Mindfuck mundgerecht zu servieren.
Fazit: Well played, Netflix, das muss erst mal einer toppen.