Review: CLIMAX (2018)

climax gaspar noe
BEWERTUNGEN:
Redaktion: 9.0

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9.2/10 (5)

Darsteller: Sofia Boutella, Romain Guillermic, Souheila Yacoub
Regie: Gaspar Noé
Drehbuch: Gaspar Noé
Länge: 93 min
Land: ,
Genre: ,
Veröffentlichung: 12. April 2019 (Heimkino)
Verleih/ Vertrieb: Alamode
FSK: ab 16

Über Gaspar Noé weiß man eines: der Mann hat seine Trademarks, aber er ist unberechenbar.
Da CLIMAX dieser Linie folgt, könnte man fast von einem Erfolgsrezept sprechen, nur dass Noé nicht nach Kochbuch filmt, sondern seine Filme individuell abschmeckt.

Die Story von Climax

Eine Gruppe Tänzerinnen und Tänzer kommt in einer abgelegenen Location zum Proben zusammen. Das Fachliche sitzt und während es draußen schneit, beginnt im Inneren eine ausgelassene Party.
Doch jemand hat LSD in den Sangria gemischt und zur ausgelassenen Feierstimmung mischen sich Paranoia, Begierde und Wut….eine explosive Stimmung und nicht jeder wird diese Nacht überleben.
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Ein typischer Noé…wenn es sowas gibt

Wie immer schert sich Noé nicht um Genrekonventionen und wirft hier Krimi, Thriller, Tanz-/Musikfilm und Mindfuck durcheinander.
Die Frage, wer für den zunehmend eskalierenden Streich verantwortlich ist, ist allerdings nebensächlich. Für die Beteiligten ist der Schuldige ohnehin rasch gefunden und wird kurzerhand leicht bekleidet in die Eiseskälte verbannt.
Das ändert aber wenig am grundsätzlichen Problem, dass zwei Dutzend Menschen mit Drogen im Blut eine Nacht lang aufeinanderhängen.

Als Betrachter fühlt man sich selbst rasch in einen Rausch versetzt, was auch an drei markanten einleitenden Szenen liegt.
Ganz zu Beginn sehen wir einen Menschen am Ende seiner Kräfte durch den Schnee kriechen, danach folgt dann erst mal der Abspann und man fragt sich, ob der Regisseur den Rückwärts-Erzähl-Trick, den wir aus IRREVERSIBEL kennen, noch einmal bemüht (tut er aber nicht).

Es folgt ein Blick auf einen alten Röhrenfernseher, aus dessen Bildschirm sich die verschiedenen Tänzer vorstellen. Hier lohnt es genau hinzusehen, um später den Überblick über die heterogene Gruppe zu bewahren, man hat aber auch Zeit einen Blick auf die Bücher und Filme zu werfen, die links und rechts des TV platziert sind und Noé als Einfluß dienten (z.B. POSSESSION und SUSPIRIA).

Noch nicht beeindruckt? Dann hilft vielleicht die folgende Tanzszene, wo die Choreographie der Protagonisten und die der Kamera unter treibenden Elektrobeats aufeinandertreffen. Eingefangen in einer rund 10-minütigen Szene, die keine Schnitte besitzt! Man kann sich ausmalen, wieviel zusammenpassen muss, bis hier alles stimmte.climax 2

CLIMAX glänzt durch Kameraarbeit

Lange und improvisierte Szenen, gibt es aber auch später immer wieder zu sehen und eine Besonderheit CLIMAX‘ ist es, dass der Film keine Hauptfigur hat, sondern die Kamera wie ein Partygast von einem Gespräch zum nächsten wandert. Noé selbst vergleicht die Kameraführung mit einer Fliege und das passt ebenfalls. Auch deswegen, weil das Geschehen manchmal von oben oder auf dem Kopf stehend eingefangen wird.

Obwohl sich fast alle Beteiligten auf einem Drogentrip befinden, verzichtet CLIMAX darauf durch die Augen der Charaktere zu filmen. Wir sehen keine verschwommenen Egoaufnahmen, keine subjektiven Halluzinationen, sondern bleiben immer nur Zeuge von außerhalb.
Trotzdem werden wir tiefer in die Ereignisse hineingezogen. Das Licht wird weniger, der Ton ruppiger, die Bilder hektischer, die Inhalte gewagter.
Das Chaos breitet sich aus. Missgeschicke, sexuelle Eskapaden und Gewalt häufen sich, aber auch das scheint die „Fliege“ nur bedingt zu interessieren. Steht beispielsweise gerade noch eine Person in Flammen, zieht die Kamera weiter ihre Bahnen durch die Flure, während die sich entfernenden Schreie als Loop im nächsten Musikstück aufgehen.climax 3

Da die komplette Geschichte in einem einzigen Haus erzählt wird, kann man sicher auch von einem Kammerspiel sprechen. Zwar bleibt aufgrund der Größe des Ensembles keine Zeit für tiefe Charakterstudien, Noé schafft es jedoch tatsächlich zu fast allen eine Geschichte zu erzählen und lässt zwischenmenschliches Befinden in die Handlung einströmen.
Bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Sofia Boutella (HOTEL ARTEMIS)) besteht der Cast übrigens aus Tänzern ohne Schauspielerfahrung. Man merkt es nicht.

Aber was soll das alles? Wo ist der Sinn? Will uns Gaspar Noé mit dem moralischen Zeigefinger vor Drogen warnen?
Sicher ließen sich Dinge in CLIMAX hineininterpretieren, aber Noé ist eher der Typ für den Mittelfinger und hier darf man getrost den Rausch für sich stehen lassen.
Eine wilde Party braucht keinen Grund und während CLIMAX optisch vielleicht weniger drastisch ist als andere Filme des Regisseurs (kein echter Sex, keine minutenlange Vergewaltigung), ist er trotzdem mit tabufreien Momenten gespickt, die den Wandel von Traum zu Alptraum dokumentieren.

Fazit zu CLIMAX

CLIMAX ist sicher ein “Love it or leave it” – Streifen, in jedem Fall ist er aber Kunst, gespickt mit vielen Details.

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