Review: DER SCHACHT (2020)

der schacht review und analyse
BEWERTUNGEN:
Redaktion: 7.5

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6.5/10 (19)

Darsteller: Ivan Massagué, Zorion Eguileor, Antonia San Juan
Regie: Galder Gaztelu-Urrutia
Drehbuch: David Desola, Pedro Rivero
Länge: 94 min
Land:
Genre: , , , ,
Veröffentlichung: 20. März 2020 (Netflix)
Verleih/ Vertrieb: Netflix

Ein Mann wacht in einem kargen Raum auf.
Auf der anderen Seite des gefängnisartigen Zimmers befindet sich ein zweiter Mann, in der Mitte des Bodens ein rechteckiges Loch. Wie Goreng, so der Name des Mannes, schnell lernt, befinden sich über und unter der Kammer weitere Räume, die je mit zwei Insassen belegt sind.
Einmal am Tag wird der Schacht von einem Aufzug voller Essen bedient.
Das perfide: die Plattform startet ganz oben und wer auf den höheren Ebenen lebt, hat die freie Auswahl auf Nahrung, die darunterliegenden bekommen das was übrig bleibt.der schacht review

Auf den ersten Blick erinnert DER SCHACHT an Filme wie CUBE oder DER KREIS, also Kammerspiele in einer futuristischen Umgebung, die den Schatten des menschlichen Verhaltens ausloten und sich durch ihre unkonventionelle Erzählweise von Standardfilmen abheben, ohne ein „Warum“ zu beantworten.
Der am häufigsten genannte Vergleich dürfte aber berechtigterweise SNOWPIERCER sein, denn auch wenn dort der Klassenkampf in einem durch eine Eiswüste rasenden Zug stattfand und DER SCHACHT eben in der Vertikalen passiert, sind die soziopolitischen Kommentare unübersehbar.

Galder Gaztelu-Urrutia Langfilmdebüt richtet sich also ans denkende Volk und sagen wir‘s mal so, Klimawandelleugner oder Ignoranten, die lieber Lebensmittel wegwerfen, statt zu teilen, werden den Streifen weder verstehen, noch ihn mögen.
(Mehr dazu weiter unten in der Analyse.)

Denken ist erlaubt…und auch nötig

Dessen ungeachtet, ist DER SCHACHT ein Experiment, das einfach die Frage aufwirft, was man selbst in der Situation tun würde und dabei schräge Elemente und Charaktere einbaut.
So hat jeder der Insassen einen Artikel seiner Wahl mit in die Gefangenschaft genommen. Während Goreng ein Buch wählte, hat sein Zimmerkamerad ein Messer dabei, was angesichts der Tatsache, dass man sich in einem Gefängnis befindet, seltsam anmutet.
Aber hier gibt es keine Wärter, Männer und Frauen werden gemischt untergebracht und niemand kontrolliert, was sie tun. Mord und Selbstmord sind an der Tagesordnung, das einzige was verboten ist, ist Lebensmittel zu horten, nachdem die Plattform weiter nach unten fährt.
der schacht the platform
Gefängnis ist per se eine Extremsituation, da die Insassen in DER SCHACHT aber zudem alle 30 Tage die Zelle wechseln, also zufällig mal weiter oben oder ganz unten sind, wo wenig bis gar kein Essen ankommt, wird die Lage nicht eben einfacher.

Obwohl der psychologische Aspekt des Film überwiegt, mischen sich mitunter gewalttätige Szenen hinein, so dass DER SCHACHT grundsätzlich eine ausgewogene Sache aus psychologischem Terror, Sozialkritik und blutigen Augenblicken darstellt.

Leider verliert sich die Story gen Ende in ein paar Metaphern zu viel und ein paar Fragen bleiben auch ungeklärt, der Gesamteindruck bleibt dennoch positiv.
der schacht el hoyo

Analyse:

Ab hier wollen wir etwas tiefer in die Materie einsteigen, denn nicht alles in DER SCHACHT ist selbsterklärend. Während man Gaztelu-Urrutias Werk problemlos unterstellen kann, dass er bzw. die Autoren David Desola und Pedro Rivero sich Gedanken gemacht haben, nehmen wir nicht in Anspruch, jedes Detail entdeckt zu haben. In jedem Fall sind ab hier Spoiler enthalten.

Was auf der Hand liegt, ist die Moral des Films, die sich durch die Ungerechtigkeit zeigt, mit der die Lebensmittel verteilt werden. Auf Ebene 0 wird eine opulente Tafel drapiert, der es an keiner Köstlichkeit fehlt, auf den untersten Ebenen werden die Menschen wortwörtlich zu Kannibalen, um die 30 Tage zu überstehen.
Es tut fast weh, wenn man sieht wie oben Menschen auf den „Tisch“ springen und sich die Bäuche vollschlagen und dabei wertvolle Ressourcen verschwenden, während unten andere verhungern.
Unterstrichen wird das noch durch die Arroganz von Gorengs Mitbewohner Trimagasi, der zunächst die Rolle des wissenden Alten einnimmt, aber sich zunehmend als ignoranter Egoist beweist, der im wahrsten Sinne des Wortes auf alle Ebenen unter ihm pisst; wohlwissend, dass diese ihm zwar nicht körperlich gefährlich werden können, aber offenbar vergessend, dass er im nächsten Monat selbst schon ganz unten sein kann.
Was DER SCHACHT sagen will, ist natürlich, dass wir alle Trimagasi sind. Wir sitzen vor unseren halbwegs gedeckten Tafeln, jammern über die über uns, die die besten Stücke (übertragen also das meiste Geld, die besten Autos etc.) abbekommen und verachten die unter uns (Drittwelt-Bewohner) und wir tun einen Teufel, „denen“ was abzugeben, während unsere brüchige Existenz genau deswegen wackelt.

Wenn Mutter Natur zusticht

Goreng und auch die Protagonistin Imoguiri unternehmen Versuche, diese Ungerechtigkeit auszugleichen, indem sie das Essen für die darunter gerecht aufteilen, während aber schon die nächste Ebene die gut gemeinte Vorgehensweise ignoriert, nur an sich denkt und erst zum Einlenken bewogen werden kann, als Goreng lautstark droht, sämtliche Nahrung mit Fäkalien zu verschmutzen, wenn sie sich nicht an die Einteilung halten.
Trotzdem ähnelt dieser Kampf einem Kampf gegen Windmühlen und daher wird es kaum verwundern, dass Gorengs Buch DON QUIJOTE ist, der eben diese sinnlose Schlacht focht.

Es ist wohl auch kein Zufall, dass verschiedene Insassen des Gefängnisses, die uns vorgestellt werden, verschiedene Sprachen sprechen und da man anfangs von 200 Ebenen ausgeht, liegt der Verdacht nahe, dass jede Ebene ein Land der ca. 200 Staaten der Erde ist.
Das würde zwar im Kontext mit ungerechter Ressourcenverteilung Sinn ergeben, später wird allerdings klar, dass es 333 Ebenen gibt, was 666 Insassen entspricht….woraus sich jeder selbst ein Bild machen kann.

Auch ohne Deutung (denn die fehlt uns ganz einfach) sei erwähnt, dass viele Figurennamen aus dem indonesischen Sprachgebrauch entliehen sind. Goreng ist ein Essen, Imoguri eine Grabstätte, Trimagasi eine Dankformel.

Was sich hingegen wieder interpretieren lässt, ist die verwildert aussehende Frau namens Miharu, die immer wieder auf der Plattform nach unten fährt, weil sie ihr Kind sucht.
Sie wirkt einerseits wehrlos, aber als zwei der Häftlinge sie vergewaltigen wollen, schlägt sie brutal zu. Sie wirkt auch verrückt, denn man sagt, dass sie gar kein Kind habe.
Was das Kind angeht, stehen Kinder natürlich meist für Erneuerung und Zukunft und DER SCHACHT dürfte keine Ausnahme bilden.
Wenn das Gefängnis die Erde darstellt, darf man Miharu als (Mutter) Natur sehen. Sie sucht nach Zukunft (dem Kind), die es vielleicht nicht gibt, ist verrückt geworden und die Menschen wollen sie vergewaltigen. Aber wie das mit der Natur so ist (und man gerade in Corona-Zeiten wieder sieht), sie kann sich zur Wehr setzen.

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