Der Großwildjäger Bob Rainsford (Joel McCrea) kentert mit einem Luxus-Passagierschiff vor der Küste einer einsamen Insel und kommt als Einziger mit dem Leben davon. Bewohner scheint die Insel nicht viele zu haben: Bob findet nur den Grafen Zaroff (Leslie Banks), dessen grobschlächtige Bedienstete und zwei Gäste vor. Wie sich bald herausstellt, hat die Zahl der Gäste aber erst kürzlich abgenommen. Zudem betreibt Zaroff, der seine Passion ebenfalls im Jagen und Bob als willkommene Herausforderung und Konkurrenz sieht, sonderbare Geheimniskrämerei um die Inhalte seines Trophäenraums. Wer diesen zu Gesicht bekommt und herausfindet, was oder wen Zaroff mittlerweile am liebsten jagt, ist danach verschwunden.
GRAF ZAROFF – GENIE DES BÖSEN gilt aus heutiger Sicht als großer, wegweisender Meilenstein des Horrorfilm-Genres. Die Tatsache, dass es auch der erste Film war, der eine durchgehend fürs Bild komponierte Filmmusik im heute noch üblichen Sinne hatte – aus der Feder von Max Steiner, der sich im nächsten Vierteljahrhundert zu einem der bedeutendsten Komponisten der klassischen Hollywood-Ära aufschwang –, spielt dabei kurioserweise wohl eine eher untergeordnete Rolle.
Zentral für den großen Ruf dieses Films hingegen ist vor allem der Aspekt, zur Jagd auf Menschen als eine Art Sport zu blasen. Dieses Werk eröffnet also Einblicke in finstere Gedankenwelten, und das in einer Weise, in der unmoralische, menschenverachtende Härte aus Gründen der Scham bis dahin kaum so direkt im Kino gezeigt worden war; der Film beantwortet die Fragen nach „Kann man das zeigen?“ und „Darf man das?“ mit einem bis dato nicht dagewesenen „Ja!“. Ehe der „Hays Code“ Hollywood 1934 mit ziemlich strengen Zensurauflagen versah, an denen GRAF ZAROFF hoffnungslos gescheitert wäre, wurde hier somit ein Akzent im Genre gesetzt, der in der Folge auch über 25 Jahre lang nicht mehr in dieser Düsternis auf Hollywood-Niveau gesetzt hätte werden können, da es von 1934 bis schätzungsweise Ende der 50er, wenn nicht bis in die 60er hinein für geraume Zeit verboten war, einen Film wie diesen in den USA zu drehen.
Fairerweise muss man in diesem Zusammenhang also betonen, dass es folglich natürlich auch kein Wunder ist, dass GRAF ZAROFF – GENIE DES BÖSEN lange Zeit wenig bis keine Konkurrenz in den Sektoren bekam, die ihm seinen Ruf verschafft haben und somit besonders auszeichnen; denn derartige Konkurrenz war ja durch den „Hays Code“ schon bald für wirklich lange Zeit schlichtweg untersagt. Ein Meilenstein zu werden und für geraume Zeit zu bleiben war gerade im Horror- und Kriminalfilmbereich Anfang der 30er-Jahre letztlich also eigentlich keine wirklich unglaubliche Errungenschaft, da der „Hays Code“ ab 1934 das meiste von dem unterband, was man den Tonfilmen bis 1933 heute oft als richtungsweisend und revolutionär nachsagt. Ohne den „Hays Code“ wäre GRAF ZAROFF womöglich schon innerhalb der 30er so häufig getoppt worden, dass der Film längst vergessen wäre. Zum Zeitpunkt, als der „Hays Code“ aber tatsächlich final überwunden war, war sogar die Alleinherrschaft des Kinos längst beendet – und das TV etabliert. Erst dann durfte es in den Filmgeschichten wieder so richtig abgründig werden, aber die Filmlandschaft hatte sich durch neue Seh- und Rezeptionsgewohnheiten ohnehin grundlegend verändert. Es konnte durch das Heimgerät viel mehr gesehen werden als früher – nun vor dem Fernseher auch viel mehr von Kinderaugen gesehen werden, was nicht für diese bestimmt war. Die Hemmschwellen verschoben sich dadurch zwangsläufig signifikant.
Ein, aus meiner Sicht, recht spannender Aspekt am großen Erfolg von GRAF ZAROFF – GENIE DES BÖSEN ist, dass Leslie Banks seine Schurkenrolle, bei genauer Betrachtung, auffällig deutlich selbstironischer spielt als dies in vielen anderen populären Horrorfilmen der ersten Hälfte der 30er-Jahre – durch Bela Lugosi, Boris Karloff, Lionel Atwill oder beispielsweise auch Charles Laughton in INSEL DER VERLORENEN SEELEN – der Fall ist. Banks machte sich einen sichtlichen Spaß daraus, das selbstverliebte Gehabe des Grafen und seine durchgeknallte Gedankenwelt mit absurd demaskierenden Untertönen zu versehen. Es glückte ihm sehr genial, dabei gleichzeitig eine tückische Unberechenbarkeit dieser Figur zu entwickeln, die letztlich unmittelbar daraus resultiert, dass er gerade eingangs immer wieder Momente einfließen lässt, in denen man den Grafen als schrägen Vogel und eitlen Gockel verlachen will. Zudem ist das aus Banks‘ Kriegsverletzungen im Gesicht Kapital schlagende Antlitz des Grafen so reißerisch anzusehen, dass man es schon als bewusste Karikatur auslegen könnte – was dann noch durch eine besonders plakative, aufwendige Kamerafahrt auf eben dieses Gesicht getoppt wird, in dem Moment als der Film gewissermaßen die Jagd eröffnet. Man wird den Eindruck nicht so recht los, dass dieser Horror-Klassiker vielleicht einen kleinen Tick augenzwinkernder gemeint war, als dies später aufgefasst wurde.
Auch ein paar sehr frühzeitige Albernheiten tragen dazu bei – wenn man etwa die Hai-Attacke nach dem Schiffsunglück betrachtet, bei der sich schlecht gespielte Opfer und narrative Absurditäten die Klinke in die Hand geben: Blitzschnell werden die Gekenterten zwar vom hungrigen Fisch unter Wasser gezogen, was den Helden Bob aber nicht etwa im Affekt dazu bringt, hektisch Zuflucht auf beispielsweise einem Wrackteil zu suchen, sondern stattdessen unmittelbar die Schwimmroute gen Land anzutreten. Wenn ich als Schiffsbrüchiger sehe, wie binnen Sekunden mehrere Menschen um mich herum unter Wasser verschwinden und das Land sich in beträchtlicher Entfernung befindet – wie viel Vertrauen habe ich in meine Schwimmkunst und darin, dass die Haie gerade alle satt oder beschäftigt sind? Wäre Bob Rainsford auch bei einem Amoklauf, im Moment einer Feuerpause einfach sofort mehrere hundert Meter mitten durch das vorherige Schussfeld gerannt – im sicheren Glauben daran, das rettende Versteck bestimmt schneller zu erreichen als der Amokläufer nachgeladen hat? Wer weiß – aber im Grunde genommen hat der Film so schon bevor Graf Zaroff überhaupt in der Geschichte auftaucht einen Punkt erreicht, an dem man ihn nicht mehr so wirklich ernst und streng sehen will. Und Zaroffs Auftreten schließt zunächst auch relativ nahtlos daran an.
Vielleicht aber auch ein cleverer Kniff, um die Zuschauer dann umso tiefer fallen zu lassen. Doch leider wurde eine dafür sehr wichtige Szene wesentlich gekürzt. Die Szene, in der schließlich zum Vorschein kommt, was sich wirklich im Trophäenraum befindet. Etwa 15 Minuten fehlen heute gegenüber der Fassung, die das damalige Testpublikum teilweise zum Verlassen des Kinos brachte. Es waren mehr „Trophäen“ sowie zugehörige Tötungs- und Konservierungsweisen ersichtlich, darüber hinaus erging sich Zaroff in Beschreibungen seiner Jagderfolge, die etlichen Kinobesuchern zu viel des Guten waren. Aber genau diese Szene braucht der Film eigentlich, um das Tor zum Abgrund, das Tor zur Psycho-Hölle wirklich aufzustoßen. Somit bleiben die Ideen, die der Film vermittelt, letztlich düsterer und machen als Gedankenspiele mehr Angst als der bewusst bühnenhaft überzeichnete Schurke als Person. Dass Zaroff phasenweise wie eine Art Alleinunterhalter wirkt, ist allerdings auch der unfassbar blassen Darbietung von Joel McCrea geschuldet, der bis zum bitteren Ende dafür sorgt, dass Leslie Banks kaum Möglichkeiten zu einer wirklichen schauspielerischen Interaktion mit irgendwem hat, sondern die gesamte Energie jeder Szene fast im Alleingang generieren muss – wenn er nicht gerade ein wenig Unterstützung von Fay Wray oder Robert Armstrong, in der Rolle eines Dauerbetrunkenen, erhält. Selbst im Angesicht des Todes gelingt es McCrea nicht, seiner Figur die Teilnahmslosigkeit aus dem Gesicht zu wischen. Für einige rasante Errungenschaften von Kamera, Schnitt und Musik möchte man dem Film regelrecht eine Oscar-Nominierung wünschen, auch Banks‘ kluger Spagat zwischen durchgeknalltem, lachhaftem Freak und unberechenbarem Monster in seiner ersten Tonfilmrolle – in deren Folge er sich auch gleich wieder von Hollywood abwandte und nach Großbritannien zurückkehrte – hätte Anerkennung in Form eines Preises verdient gehabt. Aber die Goldene Himbeere, die es gleichzeitig unbedingt für Joel McCrea hätte geben müssen, wurde leider erst 1981 ins Leben gerufen.
Wie sehr es dem gesamten Gefüge in diesem Film schadet, wie katastrophal schlecht die Darbietung von Joel McCrea wirklich ist, wird leider zu selten thematisiert, wenn dieser in allen anderen Belangen weitestgehend eben doch mitreißende, ambitionierte, innovative Horror-Klassiker besprochen wird. Daher muss dieser Fauxpas, aus meiner Sicht, zumindest hier dann einmal in aller Deutlichkeit angesprochen werden – auch etwas schärfer als ich es tun würde, wenn anderenorts sowieso schon häufiger die Rede davon gewesen wäre. Und wenn der Held nichts taugt, weder menschlich-moralisch mitreißt noch wenigstens ansatzweise als glaubhafter Triumphator überzeugt, hat es so ein Film schwer, sein riesiges Potenzial auszuschöpfen. Auf die Weise verliert man gegen andere Klassiker des Genres dann einfach an Boden – wenngleich es nicht der einzige namhafte Horrorstreifen der frühen 30er mit einem fürchterlich blassen Möchtegern-Helden ist. Allerdings ist GRAF ZAROFF – im Original schön doppeldeutig und doppelt passend mit THE MOST DANGEROUS GAME („Das gefährlichste Wild“ / „Das gefährlichste Spiel“) betitelt – andererseits eben zumindest trotzdem auch immer noch überdurchschnittlich gut, ohne sein Potenzial ausgeschöpft zu haben. Der schon damals eingetretene kommerzielle Erfolg – trotz stark angewiderter Zuschauer in den Testvorführungen und trotz generell ungewöhnlich großen Schockpotenzials –, verdeutlicht, dass dieses Werk nicht nur visionär, sondern auch zeitgenössisch publikumswirksam war.
Bemerkenswert, was aus so einem Film für ein Kult entstanden ist, der im Grunde nur gedreht wurde, weil man die Kulissen von KING KONG (1933) noch für ein zweites Projekt nutzen wollte. Amüsant dabei: GRAF ZAROFF kam letztlich etwa ein halbes Jahr früher als KING KONG in die Kinos, obwohl praktisch parallel gedreht worden war. Dies dürfte den aufwendigen Effekten geschuldet sein, die zur Vollendung von KING KONG realisiert werden mussten. Somit könnte bei den damaligen Kinobesuchern dann der Eindruck entstanden sein, man habe KING KONG in den für GRAF ZAROFF gebauten Kulissen hinterhergeschoben. Aber die Dramaturgie beider Filme dürfte von solchen Aspekten recht rigoros ablenken.
In Deutschland ist GRAF ZAROFF – GENIE DES BÖSEN mittlerweile schon mehrmals, in wechselhafter Qualität auf DVD, zuletzt nun aber auch in Kombination mit einer Blu-ray erschienen. Diese engagiert gestaltete und realisierte Veröffentlichung von Wicked-Vision baut gewissermaßen auf der bis dato besten deutschen DVD von Anolis Entertainment auf und entwickelt sie deutlich weiter, zum Beispiel in Form eines ausführlichen Booklets mit einem Essay von Clemens G. Williges. Auch der damals erstellte Audiokommentar von Rolf Giesen ist wieder mit an Bord. Zur neuen Veröffentlichung hat Giesen aber auch noch weitere Statements und einen zweiten Kommentar, diesmal an der Seite von Gerd Naumann, beigesteuert. Zu betonen ist, dass beide Audiokommentare auch nicht nur auf der Blu-ray, sondern ebenfalls der DVD enthalten sind, da dies ja heutzutage nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit ist. Für meinen Geschmack wird im neuen Kommentar ein bisschen zu viel über KING KONG geredet, nur weil der Film eben in denselben Kulissen entstanden ist – es ist phasenweise etwas befremdlich, wie parallel dazu die Bilder eines anderen Films minutenlang vor sich hinplätschern. Andererseits ist es in gewisser Weise nachvollziehbar, dass Giesen seinem gut vorbereiteten, ziemlich präzise gestalteten älteren Kommentar, der nun ebenfalls auf dieser Veröffentlichung enthalten ist, bezüglich GRAF ZAROFF möglicherweise auch einfach nicht noch einmal Szene für Szene etwas hinzuzufügen hatte. Dass der neue Audiokommentar insofern ziemlich am Bild vorbeigeht, will ich daher nicht allzu sehr dramatisieren. Zudem muss man betonen, dass auf den hiesigen KING KONG-Veröffentlichungen eben ein solcher Audiokommentar fehlt. Eine bessere Gelegenheit als parallel zu GRAF ZAROFF die identischen Sets zu kommentieren, wird sich daher vorläufig nicht bieten – und gerade für Fans beider Filme ist es somit ein schönes Upgrade. Man sollte es nur vorher wissen – und bestenfalls wirklich beide Kommentare anhören.
Die Wicked-Vision-Veröffentlichung bietet zudem sehr gute Bildqualität im für 16:9-Bildschirme optimierten Format, aber natürlich ohne das Bild in irgendeiner Form zu beschneiden. Das einzige, was ihr fehlt, das hierzulande bezüglich GRAF ZAROFF anderenorts, allerdings in sehr mäßiger Qualität, schon einmal auf DVD veröffentlicht wurde, ist eine kolorierte Fassung. Puristen werden das freilich locker verschmerzen können. Da von dem Film Anfang der 90er- und, mit verbesserter Technologie, Ende der 2000er-Jahre sogar zwei verschiedene „offizielle“ kolorierte Fassungen erstellt wurden, was in dieser doppelten Form schon eher ungewöhnlich ist, möchte ich die Existenz dieser Versionen aber zumindest nicht unter den Tisch fallen lassen.
Von der deutschen Synchronfassung aus den 70er-Jahren, die in München unter der Regie und nach einem Dialogbuch von Eberhard Storeck – der berühmte Sprecher von Willi in „Die Biene Maja“ – entstand, muss ich, obwohl ich generell ein großer Synchron-Freund bin, aus ähnlichen Gründen wie bei DRACULA (1931) tendenziell abraten. Der Schurke wirkt in den deutschen Fassungen beider Filme – trotz unterschiedlichen Produktionshintergrundes der Synchronisationen – einfach zu grobschlächtig und flach. Das ist hier umso ärgerlicher, da Leslie Banks seine Rolle im Original sogar noch weitaus differenzierter spielt als Bela Lugosi den Vampir-Grafen. Christian Marschall war ein prägnanter Sprecher, der durchaus variationsfähig gewesen ist, aber als Graf Zaroff ist er ziemlich unglücklich besetzt; im Grunde eine reine Karikatur. Kuriosum am Rande: Als Verleih der deutschen Fassung fungierte seinerzeit „Jugendfilm“ – angesichts des Genres und der Handlung ein ziemlich denkwürdiger Widersinn. Der Film mag vieles sein, aber ein Jugendfilm sicherlich ganz und gar nicht, wenn nicht sogar weniger als fast alle anderen Hollywood-Filme der gesamten 30er bis 50er. Spätestens hier hätte man sich eventuell einmal fragen sollen, was der Name dieses Verleihs eigentlich bringen soll.
Fazit:
Der Film wäre nahezu perfekt, wäre er nicht um 15 emotional sehr wichtige Minuten gekürzt worden und hätte er Figuren und schauspielerische Darbietungen, mit denen man ums Überleben mitfiebert; Graf Zaroff aber dominiert das Geschehen und Leslie Banks die Schauspielerriege. Joel McCrea ist ein Totalausfall – wie er mit den schauspielerischen Angeboten umgeht, die Leslie Banks ihm unterbreitet, anstatt effektiv zu interagieren, erinnert verdächtig an einen Banausen. Fay Wray hatte zum damaligen Zeitpunkt in so einer Frauenrolle leider noch nicht genügend Gestaltungsmöglichkeiten, wenn auch das Potenzial. Viel mehr gibt das kleine Ensemble generell nicht her. Diverse Innovationen, angefangen bei der Musik, eine mitreißende Bild- sowie Tongestaltung und der Wille Schockgrenzen auszutesten, machen GRAF ZAROFF – GENIE DES BÖSEN aber bis heute erlebenswert.
Dieses Review ist ein Gastbeitrag von Ansgar Skulme, der regulär in den Diensten der Kollegen von „Die Nacht der lebenden Texte“ steht.
Dort findet ihr auch ein weiteres Review von GRAF ZAROFF – GENIE DES BÖSEN