Die erste Kerze brennt, eine gemütliche Wärme macht sich breit und man kommt allmählich in Weihnachtsstimmung. Wir freuen uns auf den bärtigen Alten in Stiefeln und roter Kutte. Für die Artigen gibt es Geschenke. Für die Bösen einen Rutenschlag. Machen wir uns nichts vor… der Knecht Ruprecht ist schon längst keine Figur mehr, die uns oder den Kindern Angst einjagt oder gar zu besseren Benehmen anspornt. In anderen Ländern sieht es da ein wenig anders aus. Besuchen wir dazu heute einmal Island, die Heimat der schrecklichen Gryla.
Äußerlich gleicht die jahrhundertealte Trollfrau Gryla einer großgewachsenen Frau, weshalb sie oft als Riesin beschrieben wird. Verschiedenste Merkmale wie lange Ohren, die ihr ins schwarze, mit Reißzähnen bestückte Maul hängen. Hörner auf dem Kopf, etliche Schwänze am Hinterteil sowie ein drittes Auge auf dem Rücken, werden ihr angedichtet. Mit ihr zusammen leben 13 Söhne und die Katze „Jólakötturinn“, auf die wir später noch einmal zurückkommen werden.
Bis ins 13. Jahrhundert ist die Volkssage der Gryla nachvollziehbar. Im Laufe der Zeit hat sich dieses und jenes gewandelt. Nie aber die Boshaftigkeit der Trollin. Laut alten Schriften war sie dreimal verheiratet, zwei von ihren Männern ermordete sie und fraß einen der beiden auf. Diesem Trieb nach Nahrung war es zu verdanken, dass Gryla an den Weihnachtstagen aus den verschneiten Bergen kriechen musste, um überleben zu können.
Ihr Ziel waren aber nicht die Vorräte der Dorfbewohner abseits der Berge, vielmehr die zarten Körper und Innereien der Kinder, die dort lebten. Sie brach in die Häuser ein, schlich sich zu den Wiegen der schlafenden Babys, riss die kleinen Bäuche auf und aß sich satt. Jahr um Jahr ermordete sie so zahlreiche kleine Bewohner des Dorfes.
Einige Erwachsene hatten den Mut, sich der alten entgegenzustellen. Das war aber nur von kurzer Dauer, den Gryla wurde von ihrer riesigen, schaurig aussehenden Katze Jólakötturinn begleitet. Das Felltier mochte ebenfalls das Fleisch der Menschen. Im Gegensatz zu Gryla machte sie aber keinen unterschied zwischen Jung und Alt. Etwas harmloser hingegen waren die 13 Söhne. Sie stellten Unfug an, stahlen und piesackten, kochten die kleinen Körper, die ihnen von der Mutter mitgebracht wurden, waren aber nie an den grausigen Morden beteiligt.
Die Geschichte wird auch heute noch erzählt oder als Kinderlied vorgetragen. Ob das Ziel, die Kinder zum guten Benehmen zu bewegen damit erreicht wird, ist fraglich. Wohl auch, weil die Darstellung geändert wurde. Die Sippe um Gryla wird nun als die 13 Weihnachtsmänner von Island beschrieben, die zwar noch immer Schabernack treiben, den Familien aber dennoch Geschenke bringen.
Was sie für die Filmindustrie tut, muss kaum gesagt werden. Filme in denen Kinder verspeist werden, findet man sowohl in Märchen als auch in Horrorfilmen. Sucht man nach einer direkten Verfilmung dieser Geschichte, geht man relativ leer aus. Bewegt man sich nur ein kleines Stück abseits, offenbart sich ein Film, der von der grässlichen Weihnachtsgeschichte inspiriert wurde. Der Island stämmige CHILD EATER aus dem Jahr 2016 von Erlingur Thoroddsen, ließ die kinderfressende Trollin als entstellten Serienmörder auftreten und schaffte damit eine nette Hommage an die alte Folklore.
Eine Reise nach Island lohnt sich, man sollte diese vielleicht nicht zur Weihnachtszeit antreten. Denn wer kann sich schon von allen bösen Taten freisprechen? Wer weiß, ob sie nicht doch noch durch die einsamen Berge streift.