Das Filme häufig als Medium dienen, um gesellschaftliche Problematiken aufzuzeigen, dürfte hier wohl kaum jemanden überraschen. Jedoch beschränkt sich die direkte Beschäftigung mit einem solchen Thema eher auf den Bereich des Dramas oder (etwas zu) sanfter, französischer Komödien.
In diesem Artikel soll anhand verschiedener Beispiele gezeigt werden, wie auch im Bereich des Horrorfilms gesellschaftliche Problematiken und Moralvorstellungen aufgegriffen werden. Natürlich kann man theoretisch gesehen jeden Film gesellschaftskritisch analysieren. Ein derzeit oft genutzte Beispiels ist der Bechdel-Test, in welchem gefragt wird, ob es in einem Film zwei weibliche Hauptrollen gibt, die miteinander über etwas anderes sprechen als einen Mann (und man ist weiterhin erstaunt, wie wenig Filme diesen Test bestehen). Allerdings gibt es zahlreicher solcher Beispiele, da Filme letzten immer zumindest indirekt Spiegel der Gesellschaft sind, aus der heraus sie entstehen.
Daher werden im Folgenden nur Filme herangezogen, in denen ein gesellschaftliches Thema zentraler Bestandteil des Films und des Horrors selbst ist und dabei der Frage nachgegangen werden, wie sie diese Themen bearbeiten. Denn jenseits des nicht zu verachtenden Grusels, weswegen wir uns diese Filme anschauen, können Horrorfilme durchaus eine beachtenswerte zeitkritische Komponente haben.
Wenig überraschend sollte dieser Film, der 2017 für Furore gesorgt hat, gleich am Anfang genannt werden. Die Thematik des immer noch präsenten Rassismus ist zentraler Bestandteil dieses Horrorfilms, in welchem reiche Weiße einen Weg gefunden haben, die Sklaverei in veränderter Version wieder aufleben zu lassen. Wie in der Vergangenheit steht dabei der Körper des entsprechenden Afroamerikaners als Ware zur Verfügung, die einem Weißen übergeben wird. In GET OUT auf eine so direkte Weise, dass das Bewusstsein eines Weißen die komplette Kontrolle über den versklavten Körper übernimmt, wobei das Bewusstsein des Versklavten zum bloßen Zuschauer der eigenen Existenz wird. Viel treffsicherer und beißender könnte eine solche Symbolik kaum sein. Ebenso interessant erscheint dabei der Umgang der offensichtlich wohlhabenden, gebildeten, weißen Oberschicht, welche in weiten Teilen des Films nicht umhin kommt immer und immer wieder vorzuführen, wie wenig rassistisch sie doch seien („Ich hätte auch ein drittes Mal für Obama gestimmt.“). Nur zeigt sich dabei das veränderte Gesicht des Rassismus ebenso klar: denn weiterhin steht die Hautfarbe im Zentrum des Gesprächs, ebenso wie die körperlichen Eigenschaften. Der Körper des afroamerikanischen Hauptdarstellers wird dabei regelrecht zum Fetisch, sei es wegen seiner angenommenen Körperkraft, seines angeblich zum Kämpfen prädestinierten Erbgutes, oder schlichtweg der Tatsache, dass Schwarze heutzutage cooler seien als Weiße.
Die PURGE-Reihe
Sei es in Filmen oder der derzeit bei Amazon Prime erscheinenden Serie. In der PURGE-Reihe kriegt der Zuschauer eine auf die Spitze getriebene Form des Klassenkampfes zu sehen. Denn in dieser einen Nacht, in der jedes Verbrechen erlaubt ist, sind es vor allem die Armen der Gesellschaft, die sich nicht genügend Schutz leisten können, um Familie oder Besitz zu verteidigen und somit zu leichten Opfern für gut ausgerüstete Reiche werden, die in ärmlichen Nachbarschaften auf Jagd gehen. Verschärft wird die klassenpolitische Komponente durch die aktive Beteiligung vieler armer Menschen an der Purge, die sich allerdings nicht Bahn bricht in Richtung der reichen Viertel, sondern genau in den Vierteln ausgelebt wird, in denen sie selbst leben. So bringen die Armen sich gegenseitig um, anstatt gegen die Reichen vorzugehen. Anstelle sich zu verbünden und ihre Interesse gemeinsam zu vertreten (oder zu erkämpfen in diesem Fall), richtet sich die Gewalt gegen die eigene Gruppe und die benachteiligte Klasse bleibt trotz Täterschaft in ihrer Opferrolle. Das mag Kapitalismuskritik mit dem Vorschlaghammer sein, aber ein kurzer Blick in Kriminalitätsstatistiken bestätigt die Relevanz dieser giftigen Gesellschaftssatire.
Und das irgendwann klar wird, dass die Regierung zusätzlich Söldner in Armenviertel schickt, um die dortige Bevölkerung zu minimieren ist dann vielleicht etwas zu viel des Guten, zeigt aber auf bittere Weise, wie ein zynischer, autoritärer Staat das eigene Wohlfahrtssystem entlasten könnte.
Kleine Seitenhiebe auf gewisse orange US-Präsidenten sind dann auch recht offensichtlich: oder wer hat bei dem Pussy-Grabber in THE FIRST PURGE nicht an die Planet Hollywood Tapes gedacht?
Ein gut gemeintes Projekt, das wie so viele gut gemeinte Projekte schief geht. In der Verfilmung von J.G. Ballards gleichnamigen Roman werden für unterschiedlichste soziale Schichten Wohnungen in einem Hochhaus bereit gestellt. Je höher das Einkommen und die soziale Klasse, desto höher ist die eigene Wohnung angesiedelt, desto größerer Luxus wird den Einwohnern bereit gestellt. Es ist somit keine Überraschung, dass die Nähe dieser gesellschaftlichen Schichten und ihrer Lebensverhältnisse, die gleichzeitig unüberbrückbar scheinen, zu Spannungen in dem Hochhaus führt. Das liegt nicht nur am Neid der schlechter gestellten Schichten, sondern auch der Ignoranz der höher gestellten, welche den Abfall ihres dekadenten Lebensstils an die unteren Ebenen des Hauses weiterreichen. Schrittweise verfällt der Turm in Klassenkampf und Anarchie, auch wenn es hier den unteren Schichten gelingt, sich in ihrer Zerstörungswut zumindest zeitweise miteinander zu solidarisieren. So sehr die Buchvorlage von 1975 in die Jahre gekommen zu sein scheint, so zeitnah erscheint die Symbolik des Films, der eine globalisierte Welt widerspiegelt, in welcher soziale Unterschiede sich zementieren, während die schlechter gestellten Klassen der Gesellschaft das Luxusleben einiger weniger vor Augen geführt bekommen.
Nun folgt ein thematischer Sprung zu einem immer noch weitgehenden, gesellschaftlichen Tabuthema. Neben Okkultismus, was nun wirklich kein besonders neues Thema ist, steht im Zentrum dieses düsteren Kammerspiels die Beziehung von Mutter Annie zu ihrem Sohn Peter. Von Anfang an ist klar, dass es Probleme in dieser Mutter-Teenagersohn-Beziehung gibt…wie man es bei den meisten vermutet. Doch erst mit dem, durch Peter verschuldeten, Tod der geliebten Tochter Charlie bricht ein Thema wieder an die Oberfläche, welches zumindest die Mutter wohl gerne verdrängt hätte. Sie wollte ihren Sohn nicht und hatte zudem versucht, ihn im Mutterleib mit Alkohol, Drogen und Zigaretten umzubringen. Das er in seiner Kindheit einmal beim Anblick seiner Mutter erwachte, die schlafwandelnd sich darauf vorbereitete, ihn zu verbrennen dürfte nicht nur seine latente Unsicherheit ihr gegenüber erklären, sondern auf das zentrale Problem hinweisen. Was macht es mit einer Mutter und was macht es mit ihrem Kind, wenn sie dieses nicht lieben kann? Lädt eine Mutter Schuld auf sich, wenn sie ihr Kind nicht lieben kann? Der Film zeugt der Stärke des Tabus Rechnung, indem zum einen das Leiden der Mutter beschrieben wird, aber auch die latente Unsicherheit des Sohnes, der den sicheren Boden einer stabilen Mutter-Kind-Beziehung nie erfahren hatte.
Kein Tabu, aber ein vielseitiges Problem ruft dieser durchgehend sich im Ungefähren bewegende Film auf, der in der Menge möglicher Interpretationen gegenteilig zur Holzhammermethode der PURGE-Reihe funktioniert. Daher ist auch diese Interpretation nur eine von vielen. Das Thema der menschlichen Selbstzerstörung scheint im Mittelpunkt des Films zu stehen. Zum einen in Form der Hauptdarstellerinnen, die alle von Schuldgefühlen geplagt auf eine Reise gehen, von der sie voraussichtlich nicht zurückkommen werden. Das stellt die psychische Seite der Auslöschung dar. Die physische manifestiert sich in der Sperrzone, dem Schimmer, den sie betreten, welcher durch seine Art der Ausbreitung und der Mutation der in ihm lebenden Wesen als Symbol für Krebs gesehen werden kann. Die Erde selbst wird somit zum Krebspatienten, der scheinbar unabwendbar seinem eigenen Ende entgegengeht und sich dabei durch die Krankheit verwandelt, bedrohlich, fremd wird. Von dieser Erkenntnis aus scheint es kein weiter Schritt zu sein, zu behaupten, der Film spiele damit nicht nur auf die selbstzerstörerischen Elemente des menschlichen Verhaltens – individuell und in seiner Gesamtheit an – sondern auch auf die Folgen, die das für die Natur und unseren Planeten hat.
Gut, zugegeben, der Film wirkt zunächst wie die Horrorverfilmung des AIDS-Virus. Falsch ist das nicht und die Botschaft hineinzulegen, man solle Sex nicht (nur) auf die leichte Schulter nehmen erscheint überdeutlich. Dabei bietet der Film auf verschiedenen Ebenen Überlegungen an, wie wir in unserer derzeitigen Gesellschaft mit Sex umgehen. Schlafen die Darsteller des Films mit einer Person, um den Fluch von sich abzulegen, so schlafen manche Menschen in der Realität mit anderen, um ihre eigenen „Flüche“ zu vergessen, beispielsweise Einsamkeit oder Verlustängste. Wie im Film kann in der Realität Sex zum Mittel zum Zweck werden und damit auch die Menschen, mit denen man schläft. Ebenso sollte der Fluch nicht nur als Krankheit gesehen werden, sondern kann im weiteren Sinne auch symbolisieren, dass selbst ein belanglos wirkender One-Night-Stand langfristige Konsequenzen haben kann, die einen irgendwann einholen, von den verletzten Gefühlen eines anderen, bis zur Schwangerschaft. Auch wird in einer der letzten Szenen des Films, nachdem Paul eventuell den Fluch auf sich genommen hat, erneut die Thematik von besser und schlechter Gestellten in der Gesellschaft aufgegriffen. Mit der Andeutung, er könne den Fluch vorerst von sich wenden, indem er sich eine Prostituierte nehme, zeigt der Film, wie bestimmte Gruppen der Bevölkerung in größerer Gefahr sind, als andere.
Nachdem seine eigene, für die Staatssicherheit eines nationalistischen Regimes arbeitende, Tochter einen kritischen Professor ins Gefängnis bringt, entfesselt dieser unter Opfer seines Lebens die mythische Gestalt des Ghouls, damit dieser sich an seinen Peinigern rächt. In diesem Film greift ein verzweifeltes, in die Ecke gedrängte Opfer eines fundamentalistischen Nationalismus auf die übernatürlichen Schrecken des Ghouls zurück, den er nicht nur mit seinem Blut beschwört, sondern auch seinen Körper dafür bereitstellt. Eine Mahnung, dass der Schrecken einer auf die Spitze getriebenen Ideologie, dem Horror unserer Phantasie in nichts nachstehen muss. Außerdem ist es eine Erinnerung an die radikalen Schritte, die Menschen bereit sind zu gehen, wenn sie von einem brutalen Regime unterdrückt werden.
Mal wieder ein Fazit: Die Liste an Horrorfilmen, die aktuelle gesellschaftliche Probleme thematisieren und ins Zentrum der Geschichte stellen ist ebenso lang, wie divers und logischerweise immer ein Produkt ihrer Zeit. Zwar stellen sie wohl kaum die Mehrheit der aktuellen Horrorfilmproduktion dar, doch unter anderem jene, die hier vorgestellt wurden, können den einen oder anderen Denkanstoß bieten. Sei es auf überspitzt-satirische Weise (z.B. PURGE), oder in der bitterernsten Darstellung des Horrors, den Menschen bereit sind, anderen anzutun (z.B. GHOUL).