Dass wir den gleichen Film gleich zwei Mal reviewen, ist ungewöhnlich, selbst wenn es sich um einen außerordentlichen Streifen wie Gaspar Noés IRREVERSIBEL handelt. Der IRREVERSIBEL – STRAIGHT CUT verändert in der Wahrnehmung dennoch einiges anders, obwohl die Besonderheit „nur“ darin liegt, wie der Film geschnitten war, bzw. wie er jetzt umgeschnitten wird.
Wurde die Geschichte in den letzten 18 Jahren von hinten nach vorne erzählt, gibt es diese nun also auch in chronologischer Reihenfolge.
Anders ausgedrückt, man macht aus dem Ungewöhnlichen das Gewöhnliche….sofern es überhaupt gewöhnliche Filme von Gaspar Noé gibt.
Wovon handelt IRREVERSIBEL – STRAIGHT CUT?
Da sich inhaltlich rein gar nichts ändert, verweisen wir an dieser Stelle einfach auf unser IRREVERSIBEL – Review in der traditionellen Fassung und gehen hier auf andere Fragen ein.
Zum Beispiel die, inwiefern man den Film nun anders fühlt.
Wer mit dem Stoff vertraut ist, womöglich gar nicht. Wer aber die reguläre Fassung zuerst schaut, läuft Gefahr ein paar Details zu verpassen, die im Straight Cut von Anfang an klarer werden.
Von der grünen Wiese ins Rektum
Um ein paar SPOILER kommen wir nicht herum, seid gewarnt!
So ist die Tragik, dass der falsche Mann Opfer der Rache wird, in der neuen Schnittfassung offensichtlicher, denn wir haben hier gefühlte Ewigkeiten Zeit uns die Visage des Vergewaltigers einzuprägen, während in der alten Version die Rache vor der Tat gezeigt wird.
Natürlich kippt auch die gesamte Stimmung des Films. War es in der 2002-Version so, dass Noé von hektischen, lauten, chaotischen Szenen, in immer ruhigere Gefilde wanderte, ist das nicht nur umgekehrt, es fällt sogar umso mehr auf.
2002 fand der Rückwärtssprung zwischen den Szenen statt, die einzelnen Szenen wurden aber auf traditionelle Weise „vorwärts“ erzählt. All das entfällt nun, so dass der Chaos-meter, der bis zum Finale im Club „Rektum“ stetig nach oben zeigt, zuletzt am Anschlag ist. Der IRREVERSIBEL – STRAIGHT CUT bleibt zwar eine Achterbahnfahrt, aber eben nicht mehr in chronologischer Hinsicht, sondern lediglich durch Kamera und Gefühle.
Wer sich durch IRREVERIBEL 2002 überfordert fühlte, wird womöglich gerne auf die 2020-Variante zurückgreifen, klar ist aber, dass der Film an Drastik wenig eingebüßt hat. Die Vergewaltigung und die Feuerlöschszene waren und bleiben harte Kost.
Dem Zuschauer geht mit dem Neuschnitt die Ambivalenz des alten Endes verloren. Während es sich friedlich anfühlte, alle Beteiligten in Sicherheit zu wissen und somit quasi ein Happy End vorgegaukelt bekam, war doch klar, dass dies eben nur der Anfang ist.
Dem IRREVERSIBEL – STRAIGHT CUT fehlt es an Zauber
Auch ist dem neuen Werk anzumerken, dass es so nie vorgesehen war. Monica Beluccis Figur Alex liest am Anfang in einem Buch über Zeit, Phillipe Nahon referiert in seinem Kurzauftritt darüber, dass die Zeit alles zerstört und dann ist da noch der Filmtitel selbst, der eine Anspielung auf die unübliche Erzählstruktur ist, der nur ausgesprochen wenige Filme folgen (u.a. MEMENTO, den Noé selbst als Einfluss angibt).
Diese Elemente, wenn auch nicht besonders hervorstechend, ergeben nun kaum noch Sinn.
Fazit zu IRREVERSIBEL STRAIGHT CUT
IRREVERSIBEL oder IRREVERSIBEL – STRAIGHT CUT….ein guter Film, bleibt ein guter Film und egal in welcher Reihenfolge, das Acting, die tollen One-Cut-Sequenzen und auch die derbe Gewalt bleibt die selbe. Es ist aber auch nicht zu verleugnen, dass dem Film mit dieser nunmehr traditionellen Aneinanderreihung ein paar Prozent des Zaubers verloren gehen, der einen sehr guten zu einem außerordentlich guten Film machten.
Hier kannst du IRREVERSIBEL – STRAIGHT CUT sehen
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