Immer, wenn Guillermo del Toro irgendwo die Finger im Spiel hat, werden Menschen hellhörig und Erwartungen steigen. Wie die Geschichte zeigt, meist gerechtfertigt und auch wenn der Mexikaner bei ANTLERS „nur“ Produzent war.
Ursprünglich sollte der Film schon im April 2020 in die Kinos kommen, aber eine corona-bedingte anderthalbjährige Verspätung sorgte für längere Vorfreude. Und die ist berechtigt.
Story:
In einer kleinen Stadt in Oregon arbeitet Julia Meadows als Grundschullehrerin. Auf Lucas, einen ihrer Schüler, der in der Klasse einen schweren Stand hat, wird sie erst so richtig aufmerksam, als der eine verstörende Geschichte im Unterricht vorträgt.
Gleichzeitig ereignen sich in der tristen Kleinstadt Mordfälle, bei denen die Leichen grausig entstellt werden.
Während sich Julia dem Jungen annimmt, kommt sie zusammen mit ihrem Bruder Paul, dem Sheriff, einem uralten Aberglauben auf die Spur.
ANTLERS beginnt mit einer unheimlichen Szene, nimmt sich dann aber alle Ruhe der Welt, stellt Figuren vor, etabliert Schauplätze und baut Stimmung auf.
Er wirkt dabei so unaufgeregt wie die Stadt, in der der Film spielt. Man könnte auch sagen, er wirkt erwachsen. Zumindest ist es ein Film ohne die oft gewählten Teen-Protagonisten und deren Klischees.
Was oder auch wer Kern des Films ist, wird nicht sofort deutlich und die Story, die übrigens auf der Kurzgeschichte
ANTLERS weiß, dass in der Ruhe die Kraft liegt
Dabei erschafft das Werk etwas Märchenhaftes, greift auf indianische Folklore zurück und erscheint fast zeitlos. Man könnte denken, die Handlung bewegt sich in unserer Zeit, doch sieht man nie Handys, Flatscreens oder andere Belege für das 21. Jahrhundert und das wohl, weil es schlicht keine Rolle spielt.
Sonne sucht man ebenfalls vergebens, in Oregon gibt es Wälder, Nebel und Dunkelheit. Alles klassische Horror-Elemente, aber während Scott Cooper zuvor brutale Werke wie AUGE UM AUGE oder HOSTILES erschuf, ist er kein typischer Horror-Regisseur. Zumindest ist er nicht da, um Jumpscare an Jumpscare zu bauen oder Ekelanfälle auszulösen. Trotzdem ist der Anblick einer verstümmelten Leiche unangenehm authentisch.
So sehr sich ANTLERS auf die Figuren und das Setting stützt, dies ist nicht nur psychologischer, sondern auch handfester Horror und zum Ende hin verdeutlicht er dieses Anliegen.
Dass das Wesen dabei meist nur kurz oder im Halbdunkel gezeigt wird, ist ebenfalls kein neuer, aber immer wieder kluger Schachzug. Auch wenn dieses Ding einen Menschen in Stücke reißen kann, wäre jede Mystik weg, wenn man der Kamera die Chance gibt, zu lange voll draufzuhalten.
Und da ANTLERS generell ein dunkles (aber kontrastreiches und gut erkennbares) Bild hat, ist es nur sinnig auch das Monster sparsam zu beleuchten.
Das Besondere an ANTLERS ist nicht, dass er wenige Besonderheiten hat, man sich aber nur selten an bekannte Werke erinnert fühlt. Sicher, die Kleinstadt hätte es auch bei Stephen King geben können. Das, was sich bei Lucas‘ Familie abspielt, zeigt ein paar Parallelen zu OCULUS und (Achtung Spoiler), den Wendigo kennt man als grauenhafte Figur auch aus anderen Erzählungen.
Doch ANTLERS bleibt in seiner Herangehensweise so natürlich, dass man nie den Eindruck gewinnt, die Macher wären auf etwas anderes aus, als eine gute Horrorstory zu erzählen.
Der Wetterbericht sagt für Oregon Regen und Dunkelheit voraus
Die enthält auch einige persönliche Momente, die aber stellenweise deplatziert wirken. Wenn durch Flashbacks Julia als Missbrauchsopfer gezeigt wird, soll das wohl belegen, dass sie sich gut in Lucas, der ohnehin aus einer schwierigen familiären Situation stammt, hineinversetzen kann und dort vielleicht ähnliche Vorgänge erwartet, es tut aber wenig zur Sache.
ANTLERS ist aber ein Film, der selten über die eigenen Füße stolpert.
Es gibt keine Stelle, die total daneben wäre, keine unfreiwilligen Lacher, keine dummen Dialoge, Kitsch oder alberne Effekte. Eine Schwäche zeigt der Film damit, dass er die Figuren zwar sympathisch anlegt, aber dem Zuschauer wenig Gelegenheit lässt, intensiv mit ihnen zu fiebern.
Nägelkauende Spannung kommt daher selten auf und man ist als Beobachter eben Beobachter. Man wahrt – trotz der dichten Stimmung – Abstand.
Fazit:
ANTLERS ist vielleicht nicht der große große Wurf geworden, aber wer ehrlichen Horror ohne Augenrollen will, fährt hiermit ziemlich gut.