Darf man in Zeiten der Politically Correctness einen Behinderten als Bösewicht darstellen?
Ja, man muss. Denn während es inzwischen Killerautoreifen (RUBBER) und mörderische Hosen (SLAXX) gibt, sind hasserfüllte Rollstuhlfahrer eine Minderheit, die nicht nur eine kreative Lücke füllen, sondern auch für die Randgruppenquote in Horrorfilmen sorgen.
Story:
Ángel ist Sanitäter und in einer Beziehung mit Vane. Die beiden planen bereits Nachwuchs, aber Ángel ist zeugungsunfähig.
Das Schicksal schlägt noch härter zu, als der junge Mann nach einem Autounfall im Rollstuhl landet.
Die Therapie ist körperlich anstrengend, aber vor allem psychisch eskaliert die Situation, als der ehemalige Sanitäter einen immer größeren Kontrollzwang an den Tag legt und seine Freundin permanent überwacht.
Ein Stalker im Rollstuhl
Die Titelfigur sitzt nicht nur im Rollstuhl, sondern ist auch der Übeltäter. Anders als die meisten Filme begleitet DER SANITÄTER damit nicht die Guten, sondern stellt das Scheusal in den Mittelpunkt. Entfernt erinnert das an den Hausmeister aus SLEEP TIGHT, der aber natürlich zwei gesunde Beine hatte.
Aber schon vor seinem Unfall ist Ángel kein Sympathieträger. In typischer Machomanier verschweigt er seiner Freundin die eigene Unfruchtbarkeit, bestiehlt seine Patienten und neigt zur Heimtücke.
Dass er über seine neue Situation nicht gerade erfreut ist, ist nachzuvollziehen und auch der weitere Abstieg in den Wahnsinn ist plausibel.
Achtung Spoiler: du sitzt im Rollstuhl, deine Freundin verlässt dich und bekommt ein Kind von dem Typen, der für den Unfall verantwortlich ist…wer würde da nicht mal kurz ausfällig werden?
Spoilerende
Dass Ángel trotzdem ein ganzes Stück weit für sein eigenes Schicksal verantwortlich ist, würde er wohl anders sehen, aber dem Drehbuch gelingt der immer schwierige Spagat, dies vernünftig darzustellen.
Gute Charakterisierung, fragwürdige Übeltaten
Die Charakterisierung stimmt also, die Art und Weise, wie der ehemalige Sanitäter vorgeht, steht aber auf dünnem Eis. Dem Rollstuhl kommt dabei besondere Bedeutung zu, denn einerseits wirkt Ángel damit wenig gefährlich und vertrauenswürdig, was sein Tun erleichtert.
Andererseits scheinen die Taten, die er als Querschnittsgelähmter begeht, wie ein enormer Kraftakt und daher nicht immer realistisch. Nicht nur körperlich, sondern auch logistisch wäre eine Meisterleistung von Nöten. Da aber schon nach kurzer Zeit Zeugen an die Tür klopfen, scheinen Ángels ambitionierte Pläne von dieser Meisterleistung entfernt.
DER SANITÄTER ist trotzdem ein unterhaltsamer Psychothriller geworden, der gewohnt professionell wirkt, wie man das von neueren spanischen Filmen kennt. Mit Großtaten wie SLEEP TIGHT kann er sich aber nicht messen, auch weil sich -trotz des ungewöhnlichen Antagonisten- rasch eine gewisse Vorhersehbarkeit einstellt.
https://youtu.be/g_5nkg2ew-w