Die meisten Klassiker, die wir in dieser Rubrik vorstellen, sind nicht nur unserem einschlägigen Publikum bekannt, sondern auch einem breiteren, welches sonst wenig mit Horrorfilmen zu tun hat. Ebenso verhält es sich mit DER WEISSE HAI (engl. JAWS) von Starregisseur Steven Spielberg, der sonst wenig mit diesem Genre verbunden wird. Dabei legte er als großer Erfolg bei Kritikern und Publikum einen der Grundsteine für die Karriere des Mannes, der uns später JURASSIC PARK und andere Blockbuster bescheren sollte. Bei dem 1975 erschienen Thriller handelt es sich um die Verfilmung eines gleichnamigen Romans, welcher sich lose an realen Geschehnissen aus dem Jahr 1916 orientiert, in welcher eine Reihe von Haiangriffe in den USA zu fünf Todesopfern führte. Da wir an anderer Stelle bereits näher auf diese Entstehungsgeschichte eingegangen sind, wollen wir diese nun überspringen und uns direkt dem Film widmen.
Die Handlung ist schnell erzählt und wirkt, wie bei so manchem Klassiker, geradezu stereotyp – was kaum verwundern mag, bei der großen Anzahl an Filmen, die in den darauffolgenden Jahren seinen Handlungsablauf kopierten. Ein Hai tötet einen Menschen an einem US-amerikanischen Strand. Da aber gerade Badesaison ist und die Stadtverwaltung befürchtet, die Einnahmen durch Touristen könnten einbrechen, versuchen sie die Sache herunterzuspielen. Als dies nicht gelingt, wird ein getöteter Hai als der Verursacher der Angriffe inszeniert, gegen die kritische Haltung der Hauptpersonen. Der Strand wird wieder eröffnet und wie zu erwarten kommt es bald darauf zu weiteren Opfern, bis der Weiße Hai im Finale endlich erlegt wird.
Man merkt schnell, an der herausragenden Handlung kann der Klassikerstatus eigentlich nicht gelegen haben. Auch ist es beim besten Willen nicht der erste Horrorfilm oder Thriller, der amoklaufende (bzw. schwimmende) Tiere in den Mittelpunkt setzt – man denke nur an TARANTULA. Was den Film dagegen auszeichnet, ist zum einen die technische Ebene, zum anderen die zeitkritische Ebene, welche den ganzen Film durchdringt, geht dann aber noch weiter bis zu einer geradezu existenzialistischen Ebene.
Auf technischer Ebene setzte der Film damals neue Standards. Angefangen vom Soundtrack, den nun wirklich jeder schon einmal gehört hat und der 1976 mit einem Oscar geehrt wurde. Über die Glaubwürdigkeit des Hais, wofür extra Haifilmer engagiert wurden, um seine Bewegungsabläufe so realistisch wie nur möglich zu gestalten. Bis hin zu dem Spannung aufbauenden Trick, den Hai die meiste Zeit des Films nicht zu zeigen. Einen Großteil des Films werden seine Bewegungen nur durch die markante Rückenflosse angedeutet, während sich der Rest seines Körpers unter Wasser befindet. Ursprünglich war dies zwar anders geplant – der motorisierte Kunsthai war die meiste Zeit aufgrund technischer Störungen einsatzunfähig – doch sollte es sich im Nachhinein als gelungener Aufbau des Bedrohungsszenarios erweisen.
Auch der zeitkritischen Ebene sorgte der Film in den selbstkritischen USA der 70er Jahre – nach dem Ende des Vietnamkriegs und einer Dekade an internen Unruhen – zwar nicht für einen provokante Gegenentwurf, wie manch andere Horrorfilme. Dafür legt er ein gelungenes Abbild einer Gesellschaft wieder, die an der Oberfläche friedlich, glücklich und stabil wirkt – man siehe Sonnenschein, Strand, blaues Wasser, glückliche Kids mit ihren Familien im Urlaub. Während dieses idyllische Bild innerhalb von Sekunden zerbricht und in Massenpanik, Flucht und Angst mündet und man erkennt, dass der Friede doch nicht so stabil ist, wie man hoffte. Zudem spielt ein zutiefst kritisches Verhältnis gegenüber staatlichen Behörden mit hinein, symbolisiert im Versuch der Stadtverwaltung, die Erträge aufrecht zu erhalten, auch wenn es das Leben der Touristen gefährdet.
Es geht aber noch eine Ebenen tiefer – im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Darstellung der Weite des Meeres, die Unsichtbarkeit der darin liegenden Bedrohung durch den Weißen Hai, stellen eine der Urängste der Menschen gegenüber der Unbeherrschbarkeit der Natur dar. Da spielt zum einen die Angst vor dem Unbekannten hinein – man sieht den Hai nicht, weiß lange nicht, welcher Gattung er angehört, oder ob er überhaupt noch da ist. Zum anderen fließt aber auch die schiere, unbezwingbare Gewalt der Natur mit hinein, symbolisiert durch die Größe und Kraft des Hais, welcher problemlos menschliche Konstruktionen, wie Boote und kleine Schiffe zerlegt und ihnen auf diese Weise ihre eigentliche Hilflosigkeit vor Augen führt.
Fazit: der WEISSE HAI ist ein unbedingter Klassiker, welcher nicht nur dem Subgenre des Tierhorrors zu einer wahren Renaissance verhalf, sondern aufgrund seiner virtuosen Machart bis heute ein spannungsgeladener Thriller bleibt, der bereits in den 70ern den Menschen Angst machte, das Wasser zu betreten.
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