Australische Filme, die in der deutschen Hauptstadt spielen, sind naturgemäß nicht an der Tagesordnung und wenn dann noch der Autor des schmutzigen DIE MORDE VON SNOWTOWN mit im Boot sitzt, reicht das um neugierig zu werden.
Die junge Australierin Clare reist durch Deutschland. Einer ihrer Zwischenstopps bringt sie nach Berlin, wo sie den deutschen Andi kennenlernt. Die beiden verbringen eine leidenschaftliche Nacht miteinander. Als Clare am nächsten Morgen in Andis Wohnung erwacht, ist der Lehrer bei der Arbeit und die Tür verschlossen. Nur ein Missverständnis? Als Andi zurückkehrt erklärt er die Situation, Clare ist beruhigt…doch der Schrecken beginnt erst.
Ihr solltet nicht den Fehler machen einen klassischen Horrorfilm zu erwarten, auch keinen gewöhnlichen Thriller, obwohl entsprechende Elemente vorhanden sind. Mehr als alles andere ist BERLIN SYNDROM aber ein Psychogramm der beiden Hauptpersonen, die über Monate eine (unfreiwillige) Lebensgemeinschaft bilden.
Clare ist nicht in unmittelbarer Gefahr und Andi kein Folterknecht, nichtsdestotrotz aber natürlich schwer gestört, aber da nach außen nur durch Kleinigkeiten auffällt, dass er eine Bedrohung sein könnte, ist er für sein Umfeld der typische Fall von „ich hätte nie gedacht, dass er eine Frau gefangen hält.“
Clares Schicksal erinnert indes an die medial bekannten Fälle von Natascha Kampusch (bzw. die Verfilmung 3096 TAGE) oder von Josef Fritzl. Allerdings wird sie nicht in einem Kellerverlies gefangen gehalten, sondern einer recht normalen Wohnung in einem ansonsten leerstehenden Mehrfamilienhaus.
Das wirft allerdings Fragen auf. Würde jemand wie Andi wirklich Panzerglasfenster in eine gewöhnliche Wohnung einbauen, während jederzeit der Postbote, der Vorwerk-Vertreter oder auch ein Einbrecher vor der Tür stehen könnte, den Clare um Hilfe bitten könnte?
Dass sich weder Drehbuch noch Romanvorlage (von Melanie Joosten) allzusehr um Fluchtmöglichkeiten kümmern, ist auch in einer Szene zu erkennen, in der zwar Clares Handy funktioniert, aber die Sim-Karte fehlt. Dass der Notruf auch ohne Sim möglich ist, wird ignoriert, denn es soll ganz klar um die Figuren gehen.
Dazu braucht es vernünftige Schauspieler: Clare wird von Teresa Palmer (LIGHTS OUT, WARM BODIES) gespielt, den Andi gibt Max Riemelt (URBAN EXPLORER, WIR SIND DIE NACHT). Zwar nimmt man den beiden nicht so recht ab, dass sie sich anfangs zueinander hingezogen fühlen, bzw. dass gerade aus diesen beiden ein normales Paar hätte werden können, beide füllen aber im späteren Verlauf ihre jeweilige Rolle mit Leben.
Der Titel BERLIN SYNDROM ist vermutlich an das psychologische Phänomen des „Stockholm Syndroms“ angelehnt, bei dem sich Geiseln mit ihren Entführern verbündeten. Im Film wird ein ähnliches Verhalten deutlich, als Andi Clare längere Zeit alleine lässt und sie dankbar ist, ihren Peiniger wiederzusehen. Was auf den ersten Blick nicht ganz einfach nachzuvollziehen ist, ergibt dennoch Sinn und während der Film, der im ruhigen Tempo erzählt wird, beim Sehen keine Bäume ausreißt, gewinnt er als Ganzes an Tiefe.
Gewalt findet sich relativ selten, wenn dann aber drastisch und realistisch. Ansonsten sind es eher die in der Story versteckten Hinweise, die Clare in der Wohnung findet, die ein ungutes Gefühl verursachen.
Gedreht wurde teilweise in Australien, teilweise in Deutschland und natürlich ist auch die Besetzung international, während Buch und Regie komplett von „Down Under“ kommen. Trotzdem fühlt sich BERLIN SYNDROM überraschend deutsch an. Das mag nicht jeder als Kompliment auffassen und ist wertfrei gemeint, aber trotzdem ein Fakt.
Fazit: In den „technischen“ Fragen hinkt BERLIN SYNDROM hinterher, im persönlichen Bereich ist er aber weit vorne.