Reviews zu Dokumentationen verirren sich nur selten hierher, denn natürlich sind Horrorfilme und Co. etwas anderes als wahre Verbrechen. Dazu kommt, dass viele dieser True Crime – Documentarys reißerisch aufgemacht sind und teilweise zu kleinen Denkmälern für die Täter werden. Da wir schlicht kein Interesse an Hohlköpfen einer Leserschaft haben, die sich ein Autogramm von Charles Manson übers Bett hängt, sparen wir diese gerne aus.
Eine gewisse Schnittmenge zwischen dem Interesse an fiktiven und realen Verbrechen ist aber natürlich da und gesundes Interesse kein Fehler. Da HÖLLENTAL weit mehr an einer Aufarbeitung als Effekthascherei interessiert ist, machen wir daher gerne eine Ausnahme.
Inhalt der 6-teiligen Dokumentation ist der deutschlandweit bekannte Fall von Peggy Knobloch.
In Kürze: Die damals 9-jährige verschwand 2001 aus ihrem kleinen Heimatort Lichtenberg in Bayern. Ermittelt wurde in alle Richtungen und etwa anderthalb Jahre später wurde der geistig behinderte Ulvi K. festgenommen. Er gestand, wurde verurteilt und Jahre später doch wieder freigesprochen, blieb aber weiter verdächtig.
Erst 2016 wurde Peggys Leiche gefunden. Einen Täter hat man bis heute nicht…
Der Titel HÖLLENTAL klingt reißerisch
Der Titel HÖLLENTAL mag noch „gefährlich“ klingen, ist aber schlicht der Ort der Ereignisse. Darüber hinaus hebt sich die Darstellung aber vor allem durch ihre Ruhe von hektischen Netflix-Getümmel ab.
Es kommen Pressevertreter, Ermittler, Dorfbewohner und Anwälte ausgiebig zu Wort, gleichzeitig fängt die Kamera stets ruhige Bilder der relevanten Orte ein. Minutenlang sehen wir Aufnahmen der Straßen Lichtenbergs, der Wohnung Peggys, der Umgebung. Unterlegt sind diese fast statischen Sequenzen durch einen leisen unaufdringlichen Score.
Es ist genau diese Ruhe, die dafür sorgt, dass man den Schrecken erkennt, der sich 2001, aber auch in den Jahren danach zugetragen hat, dass man die Tat ernst nimmt und dass man sich damit auseinandersetzt.
HÖLLENTAL wirkt nie so, als wolle man die Meinung des Zuschauers in eine bestimmte Richtung lenken, es gibt keine nachgestellten Szenen, es gibt auch kein Gesicht der Filmemacher, keinen Reporter der die Menschen interviewt. Alles was wir sehen, steht für sich und muss auch eigenständig bewertet werden.
Wer es liebt in Schwarz und Weiß zu denken, wird an HÖLLENTAL verzweifeln. Eben noch zeigt man uns das Polizeivideo, auf dem Ulvi seine Tat detailliert gesteht, später bemerken wir, dass erhebliche Zweifel nötig sind und vor allem, dass sich andere in erheblichem Maße verdächtig machten.
Doch es ist nicht nur die Tat selbst, die packt, es sind auch die Mechanismen, die Befangenheiten, die Systeme, die uns mal verstehend nickend, mal kopfschüttelnd zurücklassen.
So werden der Polizei nicht nur eklatante Ermittlungspannen vorgeworfen, sondern sogar dass Aussagen mit zweifelhaften Methoden entstanden oder zurückgenommen wurden.
Auf der anderen Seite gibt es die Dorfbewohner, die sich mit dem Medienrummel sichtlich schwer tun (was nachvollziehbar ist), aber auch so wirken, als wäre es absolut undenkbar, dass einer der Ihren eine Straftat begeht….obwohl Ulvi K. auch nach dem Freispruch wegen Mord wegen Kindesmissbrauchs in einer psychiatrischen Anstalt blieb.
Dass in HÖLLENTAL keine Stimme aus dem Off spricht und kein Reporter in den Interviews nachhakt, birgt aber natürlich auch Gefahren. So hat man beispielsweise den Eindruck, dass Ulvi K.s Betreuerin weniger aufgrund der Faktenlage an dessen Unschuld glaubt, als vielmehr, weil sie es unbedingt möchte. Wer mehr in die Welt der Dame einsteigen will, kann sich u.a. eine Facebook-Seite der Dame ansehen, auf der Ulvi ein naiver und sehr wohlwollender Schrein gebaut wird.
HÖLLENTAL geht auf viele Aspekte ein und durch die zahlreichen Aufnahmen hat man schließlich sogar den Eindruck, sich als Ortsfremder in Lichtenberg auszukennen. Einige Details, wie beispielsweise die Art des Missbrauchs, für die Ulvi verurteilt wurde, bleiben hingegen unklar. Dass er exhibitionistische Neigungen hatte, wird deutlich, inwieweit er sich Kindern (und natürlich insbesondere Peggy) aber auch körperlich aufdrängte, wäre allerdings nicht irrelevant zu erfahren.
Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass HÖLLENTAL nicht nur einen unglaublichen, traurigen und komplexen Fall durchleuchtet, der beim Zuschauer lange nachhallt, sondern ohne billige Tricks eine Spannung entsteht, von der Krimis nur träumen können.
Am Ende wird vermutlich jeder eine Idee haben, wer der wahre Täter ist….aber vermutlich auch Zweifel.
Fazit: Unbedingt ansehen!
Bildquellen: zdf.de