Ich schaue Horrorfilme, seit ich zu jung dafür bin und vermutlich bin ich in den Augen mancher Mitmenschen inzwischen zu alt dafür.
Ich muss zugeben, dass der Umgang mit Filmen heute ein anderer ist. Ich schaue nicht mehr unters Bett, ob eines der Wesen aus den Gespenstercomics darunter liegt und ich traue mich auch, die Schranktür nachts offen zu lassen und meinen nackten Fuß unter der Bettdecke in die Dunkelheit zu strecken.
Stattdessen wird man kritischer; man hinterfragt wie die Tricks gemacht werden; man findet Logiklöcher, die man nie suchte; man ist eben ein Erwachsener.
Aber diese dünne Eisdecke des Erwachsenseins ist fragil wie die einer vermeintlich fortschrittlichen Zivilisation, in der sich Menschen um Klopapier prügeln.
Gib einem 30- oder 45- oder 60-jährigen einen freien sonnigen Tag und einen Ball und er ist wieder Kind.
Gib einem Horrorfan ein paar Elemente seiner Lieblingsfilme und er lässt nachts wieder das Licht brennen.
Wenn fremde Menschen von ihren Urlauben erzählen, kann das ermüdend sein und im schlimmsten Fall prahlerisch wirken. Nichts davon ist meine Absicht, aber vermutlich habt ihr wie die meisten schon mal an FINAL DESTINATION gedacht, wenn ihr hinter einem dicken Holzlaster herfahrt.
Vermutlich ist euch dabei nichts passiert, aber die Assoziation war da. Dieses ungute Gefühl war da.
Das Bedürfnis Abstand zu halten war da.
Mein letzter Urlaub führte mich nach Schweden und es gab viele Assoziationen.
Ist es sehr weit hergeholt, wenn man als Filmfan an der Grenze eine Zoll-Beamtin erwartet, die etwas anders aussieht und wie Tina aus BORDER an deinem Gepäck schnüffelt?
Das Land ist eigentlich nebensächlich, aber es gilt hervorzuheben, dass nichts an Schweden sonderlich bedrohlich wirkt.
Die Menschen sind insgesamt freundlich, die Sprache wirkt gemütlich, die Landschaften sind sanft und einladend.
Zumindest so lange, bis du in deinem abgelegenen Ferienhaus ankommst und das Kreuz hinterm Haus siehst. Ein einzelnes Holzkreuz, auf dem Sally steht, aber das genügt, um einen Funken im Hirn zu entfachen.
Nein, niemand läuft deswegen schreiend davon. Es ist nur eine kleine Erinnerung an FRIEDHOF DER KUSCHELTIERE. Nicht mehr. Vielleicht verbunden mit der Frage, ob es in den Wäldern noch einen anderen Friedhof gibt, den man besser meiden sollte.
Der Schrecken lauert hinter jedem Baum
Wenn du durch diese Wälder läufst und dir vier Stunden lang niemand begegnet, denkst du vielleicht auch an einen Film wie BACKCOUNTRY und es spielt keine Rolle, dass dir in Südschweden keine Bären begegnen werden.
Wenn du über einen dünnen Pfad stolperst, der aussieht, als hätte ihn seit Jahren niemand betreten, fragst du dich, woher dieser Pfad kommt und was aus den Menschen wurde, die ihn anlegten. Dabei fällt dir unangenehm auf, dass THE RITUAL in Schweden spielte. Diese dichten Wälder spielen mit deiner Fantasie und du hoffst, dass dein google maps den Kurs hält, weil das der einzige Grund ist, damit du dich nicht inmitten dieser endlosen Natur verlierst.
Es ist schön, wie ruhig es hier ist. Es ist besorgniserregend, wie ruhig es hier ist.
Wenn es windstill ist, ist (vor allem nachts) das Knirschen des Bodens unter den eigenen Schritten, das einzige Geräusch, das man hört. Und wenn man stehenbleibt, ist der eigene Atem das einzige Geräusch, das man hört…aber warte mal, war da nicht was? Im Gebüsch? In der Dunkelheit?
Es ist nicht so, dass man sich vor dem fürchtet, was die drei Camper in BLAIR WITCH PROJECT verfolgte, schließlich gab es dort im Grunde nichts zu sehen. Es ist aber so, dass man das ungute Gefühl der Protagonisten gut, allzu gut, nachvollziehen kann. Vor allem dann, wenn dein Hund an einer harmlos aussehenden Stelle im Wald schnuffelt und urplötzlich ängstlich davonrennt.
Und nein, es ist nicht beruhigend, dass BLAIR WITCH PROJECT gar nicht in Schweden spielte.
Andererseits ist es beUNruhigend, dass MIDSOMMAR in Schweden spielte. Hier nimmt sich die eigene Vorstellungskraft einfach was sie braucht. So stellt man dann die Absichten der freundlichen Nachbarn in Frage und sieht sich insgeheim in einem brennenden Bärenfell wieder. Auf keinen Fall möchte man selbstgemachte Pasteten essen.
TROLL HUNTER spielte übrigens auch nicht in Schweden, aber im nahegelegenen Norwegen. Wenn man dann an einem Ort namens Trollberget vorbeikommt (wo der Legende nach eine schwere, gut versteckte Eisentür die Schätze eines Trolls beherbergt), muss die Frage erlaubt sein, ob die aus TROLL HUNTER bekannten Trollzäune, die man früher für Stromleitungen hielt, nicht auch in Schweden Anwendung finden.
Wie gesagt, Schweden steht nur stellvertretend für viele andere Länder und Regionen. Manche Assoziationen des Horrorhirns beziehen sich aufs Land, andere auf Einsamkeit und Wälder oder ganz andere Elemente.
Unterm Strich stelle ich fest, dass ich wohl zu viele Filme sehe und es die Freizeit und Freiheit ist, die dafür sorgen, dass ich mir ein klein wenig des im Alltag verloren geglaubten wohligen Grusels bewahrt habe, den diese auslösen sollen.
Ich freue mich darüber.