Review: MIDSOMMAR (2019)

midsommar rezension
BEWERTUNGEN:
Redaktion: 8.5

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8.3/10 (28)

Darsteller: Florence Pugh, Jack Reynor, Vilhelm Blomgren, Will Poulter
Regie: Ari Aster
Drehbuch: Ari Aster
Länge: 140 min
Land:
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Veröffentlichung: 26. September 2019 (Kino); 07. Februar 2020 (Heimkino)
Verleih/ Vertrieb: Weltkino
FSK: ab 16

MIDSOMMAR ist der zweite Spielfilm von Ari Aster. Dessen Langfilmdebüt HEREDITARY hatte Fans, räumte Preise ab, aber natürlich war nicht jeder von dem anspruchsvollen Stoff angetan.
All das wird sich mit MIDSOMMAR nicht ändern.

Was ist die Story von MIDSOMMAR?
Dani verliert durch den erweiterten Suizid ihrer Schwester ihre gesamte Familie.
Monate später ist sie noch immer psychisch angeschlagen und leidet unter Panikattacken. Trotzdem beschließt sie mit ihrem Freund Christian und dessen Kumpels Josh, Mark und Pelle in Pelles Heimatort nach Schweden zu fahren, wo zur Sommersonnenwende ein ganz besonderes Ritual veranstaltet wird, das es nur alle 90 Jahre zu bewundern gibt.

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Für die männlichen Touristen, allesamt Anthropologie-Studenten, ist der Trip ein gefundenes Fressen. Trips gibt es aber auch in anderer Form und die fünf Gäste werden direkt mit Magic Mushrooms empfangen…was für Dani zu einer unangenehmen Erfahrung wird.
Aber auch die friedlichen, in weiß gekleideten Mitglieder der Gemeinschaft, die in einfachen Hütten abseits der modernen Welt zusammen schlafen, zeigen, dass andere Länder andere Sitten mit sich bringen.

Andere Länder, andere Tode

Natürlich kann man sich schon nach der dunklen (und genialen) Eröffnungsszene denken, dass es nicht bei dieser Friede, Freude, Sommerwendfeuer – Stimmung bleibt und fühlt sich rasch an verschiedene andere Filme erinnert, die sich mit Kulten bzw. abgeschotteten Gemeinschaften beschäftigen.
Ein Vergleich von MIDSOMMAR mit WICKER MAN oder THE SACRAMENT ist daher nicht abwegig, aber damit alleine wird man Asters Film nicht gerecht.

midsommar ari aster
Wie in HEREDITARY baut er von Minute Eins an nicht nur glaubwürdige Charaktere auf, sondern schafft auch zwischenmenschliche Spannungen, die greifbar sind und die man auch aus dem echten Leben kennt.
Wie eingangs erwähnt, enden die Parallelen dabei nicht. MIDSOMMAR setzt nicht auf laute Effekthascherei, sondern wird in rund 140 Minuten Laufzeit in aller Ruhe erzählt. Geplatzte Schädel, verstörende Sequenzen und Rauscherfahrungen finden sich dennoch und sind umso intensiver.

Auf der anderen Seite ist MIDSOMMAR wahrlich sommerlich und lässt dadurch klassische Horrorstimmung nicht aufkommen. Grüne Wiesen, gleisendes Sonnenlicht und die in unschuldiges Weiß gekleideten Bewohner wirken nicht nur (farben-)froh, sondern stellenweise so hell, dass man als Zuschauer die Augen zusammenkneifen möchte.

MIDSOMMAR…auch optisch

Da die Sonne um diese Jahreszeit im Norden kaum je untergeht, macht diese Überdosis Licht sicher ohnehin Sinn, womöglich ist aber noch mehr darin zu lesen:
Nichts an dem Film scheint zufällig zu geschehen und so darf man davon ausgehen, dass hier eine gewünschte Überbelichtung erzeugt wird, denn MIDSOMMAR ist voller Szenen, die unbequem wirken.

Bestes Beispiel ist dafür die Figur Christians (gespielt von Jack Reynor (FREE FIRE)), der gar kein übler Kerl zu sein scheint, aber permanent zwischen seiner Freundin Dani und seinen Kumpels steht. Weder hat er die Eier in der Hose, ihr zu sagen, dass die Beziehung gescheitert ist, noch schafft er es seinen Buddys rechtzeitig zu sagen, dass er Dani mit nach Schweden nimmt. Er rutscht immer wieder nervös hin und her, als drücke ihn etwas….wäre das Gefühl dringend aufs Klo zu müssen ein Mensch, würde es aussehen wie Christian.
So wie sich Christian nie wohl fühlt, lässt Ari Aster auch nicht zu, dass sich seine Zuschauer zu wohl fühlen, selbst wenn er sie dafür blenden muss.

midsommar filmkritik

Übrigens sind auch die restlichen Charaktere gelungen. Vereinfacht gesagt ist Pelle der freundliche Einheimische und scheint sich heimlich für Dani zu interessieren, Josh der neugierige Student und Mark (Will Poulter (BLACK MIRROR: BANDERSNATCH)) ein typisches Großmaul, das vor lauter Ignoranz schon mal versehentlich die Heiligtümer der Gemeinschaft entweiht. Menschen wie Mark sind in vielen Filmen nervige Gestalten, hier lockert er durch seine Fremdscham-Attitüde die permanent angespannte Stimmung auf.
Hauptfigur ist natürlich Dani, die zwar nicht permanent im Fokus steht, aber von Florence Pugh zerbrechlich und einfühlsam gespielt wird.

MIDSOMMAR steckt aber nicht nur voll illustrer Figuren, sondern auch vieler Details, die zu einem Zeitpunkt kurz im Bild zu sehen sind, aber erst 100 Minuten später eine Bedeutung zugesprochen bekommen.

Damit kommen wir aber auch zu einem Problem des Werks. Es wäre schwer geworden, die komplexe Story in 90 Minuten zu erzählen, 140 Minuten scheinen aber unnötig lange (vom noch längeren Director’s Cut mal ganz zu schweigen).
Wer den Film mit der nötigen Aufmerksamkeit schaut (alles andere macht ohnehin keinen Sinn), muss die Eigenschaften der Figuren nicht noch mal im letzten Filmdrittel aufgezeigt bekommen.

Man kann auch darüber streiten, ob folkloristische Gesänge und Tänze der Einheimischen in aller Epik gezeigt werden müssen.
Gleichzeitig scheint die Handlung manchmal zu vergessen, was die Geschichte anfangs ausmachte. Die tragisch-drastische Story um Dani geht zwar nie komplett unter, rückt aber überraschend weit in den Hintergrund und man kann sich fragen, ob sich ohne ihre Vorgeschichte viel am Ausgang geändert hätte.

midsommar-horrorfilm

Und dann ist da noch die entstellte Gestalt des Ruben, der im Trailer gezeigt wird und im Film eine spezielle Rolle einnimmt (Achtung Spoiler) indem er als geistig zurückgebliebenes Ergebnis geplanter Inzucht das heilige Buch der Gemeinschaft schreibt, das dann von den Ältesten interpretiert wird.
Auch dieses Detail findet nur am Rande Erwähnung und Ruben ist selten im Bild, man kann sich aber fragen, ob nicht genau seine Figur die absurd-makabren Ereignisse erträumt, denen sich die Protagonisten ausgesetzt sehen.

Zu loben ist wiederum die exzellente Kamera- und Schnittarbeit. Egal, ob z.B. Dani in die heimische Toilette geht und plötzlich im Klo des Flugzeugs, das sie nach Schweden bringt, steht oder aus der anschließenden Überlandfahrt eine „Überkopf“-Fahrt wird, auch hier überzeugt MIDSOMMAR mit liebevoller Kleinarbeit.

Fazit zu MIDSOMMAR

Wie der Film, hat auch dieses Review Überlänge. Was sein muss, muss aber sein und das hat sich sicher auch Ari Aster gesagt und erneut einen massiven Klotz gedreht, der sich in der Mitte zwischen Kunst und Horror bewegt.
MIDSOMMAR ist nicht perfekt, aber er ist trotz bekannter Elemente eigenständig und steckt voller Feinheiten, die es zu entdecken gilt.

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