Als ich meinen ersten Film von David Lynch sah (es war MULHOLLAND DRIVE), herrschten draußen tropische Temperaturen und was ich auf dem Bildschirm erlebte, röstete mein Hirn komplett.
Etliche Jahre später bin ich dumm genug am heißesten Tag des Jahres INLAND EMPIRE zu sehen und das Gefühl sich in einem infernalischen Fiebertraum wiederzufinden, wiederholt sich schon nach wenigen Minuten.
Worum geht es in INLAND EMPIRE?
Nikki Grace ist eine ehemalige Schauspielerin, die auf ein Comeback in Hollywood hofft.
Im Film „On High in Blue Tomorrows“ soll sie die Hauptrolle übernehmen.
Was sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht weiß: hierbei handelt es sich um ein Remake eines deutschen Films, der als verflucht gilt und nie fertiggestellt wurde, weil die Hauptdarsteller zu Tode kamen. Bald ereignen sich auch am aktuellen Set merkwürdige Dinge und Nikki scheint auf unnatürliche Weise mit ihrer Rolle als Susan Blue zu verschmelzen.
Ein Film im Film bietet immer die Chance auf verschobene Realitäten, das gilt für vergleichsweise simple Werke wie SCREAM 2, komplexeres wie IM AUGENBLICK DER ANGST und harten Mindfuck wie INLAND EMPIRE.
INLAND EMPIRE = Mindfuck deluxe
Dass Lynch lynchige Dinge tut, ist natürlich absehbar, aber selbst für seine Verhältnisse wirkt das Ergebnis nicht gerade nutzerfreundlich.
Während viele der heute angesagten A24-Regisseure im Kern eine nachvollziehbare Geschichte erzählen, in die aber ein paar Analogien und Symboliken eingebaut sind, die man entdecken kann, aber nicht zwingend muss, fabriziert Lynch hier unter anderem eine Sitcom in dem Menschen in Hasenkostümen Dinge zueinander sagen, die keinen Sinn ergeben, während Gelächter vom Band läuft.
Wer an dieser Stelle eine Analyse zu dieser Szene oder geschweige denn zum ganzen Film erwartet: vergesst es!
Den Film kann man erleben, ihn rational zu verstehen, würde aber noch viele Durchläufe und ein paar Jahre Therapie brauchen und darüber zu schreiben würde jeden Rahmen sprengen.
In drei Stunden Laufzeit macht Lynch die große Tasche auf und offenbart sein ganzes Können. Ein wenig wirkt INLAND EMPIRE auch wie „Alles muss raus“, denn obwohl das Werk von 2006 stammt, hat der Meister seitdem zwar etliche Serien und Kurzfilme, aber keinen Spielfilm mehr gedreht.
Inhaltlich erinnert das Ergebnis, nicht zuletzt wegen der Hollywood-Thematik, leicht an MULHOLLAND DRIVE und wir bekommen ein Widersehen mit den dort eingesetzten Justin Theroux und Laura Harring.
Andererseits besteht kein direkter Zusammenhang und auch wer LOST HIGHWAY, MULHOLLAND DRIVE und INLAND EMPIRE als Brüder im Geiste oder inoffizielle Trilogie sehen will, liegt damit (womöglich) richtig.
Eine einbeinige Frau, ein Affe und ein Holzfäller
Vieles was sich über INLAND EMPIRE sagen lässt, muss im Konjunktiv stehen und selbst die Beteiligten tun sich schwer ihr Schaffen zu deuten.
Ein zusammenhängendes Drehbuch existierte nicht und gedreht wurde über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren.
Hauptdarstellerin Laura Dern soll Lynch mit den Worten „Willst du dabei sein und experimentieren?“ angeworben haben und ein Produzent berichtete von einem Anruf, in dem der Regisseur folgendes forderte: „Bringen Sie mir bis 15:15 Uhr eine einbeinige Frau, einen Affen und einen Holzfäller.“
Es sind Fun Facts wie diese, die viel über das Ergebnis aussagen, das vielleicht Lynchs persönlichster Film ist. Man könnte auch von einem Do It Yourself – Projekt sprechen, denn er führte nicht nur Regie und schrieb das Skript, er produzierte auch, war Kameramann, übernahm den Schnitt und war für Teile des Sounds zuständig.
Was trotz alledem beruhigend ist, auf die berechtigte Frage, wovon INLAND EMPIRE handele, wollte/konnte auch Lynch selbst nur anmerken, dass er das nicht sagen könne und es der Zuschauer selbst herausfinden müsse.
Teils ist dieser Alleingang dem Endprodukt aber auch anzumerken. Die Kameraführung wirkt nicht selten ungestüm und erweckt den Eindruck, als wäre man in einer 90er-MTV-Sendung, während andere Augenblicke vor Ästhetik strotzen. Die eingangs erwähnten Hasen-Szenen sind wiederum eine Wiederverwertung älteren Materials und auch der Rest des Streifens wirkt nie wie aus einem Guss.
Lobenswert ist allerdings Laura Derns Auftritt (insbesondere in Anbetracht der ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte) und mit Mimen wie Harry Dean Stanton oder Jeremy Irons macht man auch wenig falsch.
Egal, wie man es betrachtet, der Film ist ein Experiment und die Probanden sind sowohl die Handlung, als auch Cast & Crew und Zuschauer. Von den armen Menschen, die versuchten INLAND EMPIRE zu vermarkten, mal ganz zu schweigen.
Gegenüber Mr. Lynch muss die Frage erlaubt sein, ob er endgültig den Verstand verloren hat oder nicht einfach einmal mehr seine Genialität unter Beweis stellt…aber das Eine schließt das Andere nicht aus.