Mit THE WITCH nahm uns Robert Eggers mit in die Wälder des puritanischen Neuenglands und entführte uns mit DER LEUCHTTURM auf ein kanadisches Eiland im 19. Jahrhundert. Nun reist er mit uns nach Nordeuropa ins Jahr 895 und dort ist sein aktueller Film THE NORTHMAN angesiedelt.
Story:
Amleth ist noch ein Kind, als sein Vater, ein Wikingerkönig brutal von seinem eigenen Halbbruder Fjölnir ermordet und seine Mutter verschleppt wird. Er selbst kann mit knapper Not entkommen und schwört Rache. Jahre später ist Amieth selbst ein brutaler Hüne und als er erfährt, wo sich sein Onkel und seine Mutter aufhalten, macht er sich auf die Reise.
Dies ist nicht die erste Rachestory und es wird nicht die letzte bleiben. Somit ist auf den ersten Blick an der Geschichte nichts Besonderes zu entdecken. Allerdings hat sich Eggers einen Ruf erarbeitet, der nicht jedem zusagt, der aber für atmosphärisches Arthouse-Kino steht und stilistisch eigen ist. Diese Trademarks sind auch in NORTHMAN zu entdecken und es lohnt sich zwischen den Zeilen zu lesen.
Zunächst wirkt der Film in Bezug auf Kostüme und Locations wieder maximal authentisch und farbarme, kühle Bilder, die oft nur von simplen Lichtquellen wie etwa Fackeln erhellt werden, sorgen für Atmosphäre und den typischen Eggers-Style.
Wenn Eggers ruft…
Verständlicherweise will inzwischen jeder dabei sein, wenn Robert Eggers ruft, denn es hat sich herumgesprochen, dass er seine Figuren ernst nimmt. THE NORTHMAN ist daher mit Ethan Hawke (SINISTER), Nicole Kidman (THE OTHERS), Willem Dafoe (WHAT HAPPENED TO MONDAY?), Anya Taylor-Joy (LAST NIGHT IN SOHO) und Alexander Skarsgård (THE STAND)ausgezeichnet besetzt. Alle fünf kennt man auch aus Horrorfilmen, was auch das Genre ist, mit dem man Eggers verbindet, doch THE NORTHMAN kann man schwer in eine Schublade packen und geht als Drama, Abenteuer, Historienfilm oder eben Rachethriller durch.
Klar ist aber auch, dass es keine Wikinger ohne Brutalität gibt und der Film geizt nicht mit entsprechenden Darstellungen. Es ist allerdings nicht so, dass abgeschnittene Nasen, aus Leichenteilen gebastelte Botschaften oder martialische Kämpfe nur des Schauwertes wegen enthalten sind, sondern sich ins große Ganze einfügen. Dazu gehört auch, dass manche Szenen zu lange oder gar unnötig erscheinen, aber zum positiven Gesamteindruck und der Stimmung beitragen.
THE NORTHMAN ist größer
Apropos groß: Nach dem familiären THE WITCH und dem kammerspielartigen DER LEUCHTTURM, ist THE NORTHMAN eine Nummer größer angelegt. Größeres Budget (ca. 60 Millionen $), größerer Cast und statt sich auf eine Location zu konzentrieren, werden hier etliche (See-)Meilen zu verschiedenen Orten zurückgelegt.
Das, die sich über Jahrzehnte erstreckende Story und eine Laufzeit von 130 Minuten lassen von einem Epos sprechen, auch wenn der Film dankenswerterweise auf Kitsch und zu viel Pathos verzichtet.
Inhaltlich ist die Geschichte recht geradlinig ausgelegt, auch wenn ACHTUNG SPOILER ein Twist die Frage aufwirft, ob jeder Gerettete gerettet werden will und nicht manchmal die eigene Kindheitserinnerung verklärt ist. SPOILERENDE
Es ist Jammern auf hohem Niveau, aber trotz der nüchtern betrachteten Vorzüge, die THE NORTHMAN ausmachen, wirkten die früheren Filme des Regisseurs stimmiger. Vielleicht weil es schwieriger ist, all die Figuren, Szenen, Schauplätze unter einen Hut zu bringen oder die Starriege bei Laune zu halten?
Das fällt aber eindeutig in die Kategorie „Geschmackssache“, denn grundsätzlich gibt es an THE NORTHMAN wenig auszusetzen.