Wer kennt das nicht: man zieht in ein neuen Wohnblock, lernt alle möglichen Nachbarn kennen und mit den ersten Gerüchten wird einem klar, dass man einer – mehr oder weniger – komplexen Hierarchie narzisstischer Arschlöcher ausgeliefert ist. Jeder Schritt vor die Tür wird penibel von den Alteingesessenen dokumentiert und nach ein paar Tagen weiß man, in welcher Rangordnung man ungefähr wo steht. Wer eine Freundschaft schließt, bekommt zwei Feinde gratis dazu und schon beginnt der soziale Wahnsinn. Wollt ihr den totalen Wohnblock? HIGH RISE bietet ihn euch.
Dr. Robert Laing (Tom Hiddleston) zieht in einen, für die 70er Jahre, futuristischen Wohnkomplex. Auch der Architekt des 50-stöckigen Gebäudes Anthony Royal (Jeremy Irons) lebt dort im obersten Stock, relativ abgeschottet um ungestört an den weiteren, geplanten Hochhäusern arbeiten zu können. Zusammen sollen sie nach ihrer Fertigstellung die Form einer Hand ergeben. Die ersten beiden ‚Finger‘ sind bereits bezugsfähig und dienen nun als All-Inclusive-Lebensraum für die Bewohner und als Härtetest für das Gebäudesystem. Fitnessstudio, Schwimmbad, Supermarkt – all das befindet sich bereits im Gebäude und so spielt sich das Leben der Figuren (und damit auch der Film) zum größten Teil genau dort ab. Als Laing seine Nachbarin Charlotte Melville (Sienna Miller) und ihren Verehrer, den verheirateten Richard Wilder (Luke Evans), kennenlernt, wird er auf eine große Party eingeladen, die eigentlich nie endet und immer bizarrer wird.
Irgendwann entsteht natürlich eine Schieflage und das frohe Konsumieren kann nicht mehr für jeden gleichermaßen bereitgestellt werden. Beispielsweise fällt der Strom des Öfteren aus und so werden irgendwann nur noch die oberen Stockwerke mit Strom versorgt. Bald eskaliert einfach alles. Der Film zeigt hier auch anhand des Supermarktregals, wie schwierig es sein kann, ständigen Überfluss für alle zu garantieren und wie die Elite sich systematisch Privilegien sichern kann. Natürlich solidarisiert sich auch sonst niemand über sein Stockwerk hinaus. An dieser Stelle werden eigentlich die Rollen von Laing und Charlotte interessant. Sie sind die Grenzgänger, immer distanziert, sodass sie mit einem Mix aus Bewunderung und Abscheu in jedes soziale Gefüge integriert werden können.
Auch der idealistische Wilder, der immer wieder das System hinterfragt, hat Potenzial den Zerfall der Gesellschaft noch einmal abzuwenden. Allerdings ist der größte Feind aller Bewohner nicht ‚das System‘, sondern ihr eigener Narzissmus. Und das wird uns im Prinzip während des gesamten Films in jedem Bild vorgeführt wird. Deutlich wird das, zum Beispiel, wenn die berühmte Schauspielerin Jane Sheridan (Sienna Guilory) den Tod ihres Hundes beweint und sich dabei trostsuchend an einen Spiegel lehnt. Auch die Musik von Clint Mansell (REQUIEM FOR A DREAM) gibt dem Film noch weitere Facetten. Sie entwickelt sich mit dem Film und integriert ein wunderbares SOS-Cover (ABBA) von Portishead, genauso wie sie ein orchestrales SOS-Cover völlig übertreibt.
Was HIGH RISE hier veranstaltet ist also ein Fest für jedes Analyse-Seminar an der Uni. Wenn es an euren Kinos eine Reihe ‚Film und Psychoanalyse‘ gibt, wird HIGH RISE garantiert bald dort zu sehen sein. Das ist leider auch das Problem von HIGH RISE: Jede Szene hält für sich genommen schon so viel Potenzial bereit, dass der Film als Gesamtes oft enorm überladen wirkt. Es gibt extrem viele Zwischentöne, versteckte Gimmicks, versteckte Botschaften, versteckte Anspielungen, versteckte Witze.
Der Film versteckt im Allgemeinen sehr viel und man muss sich doch auch fragen: warum eigentlich? Manchmal wird man sogar misstrauisch ob der Film wirklich so schlau ist, wie er vorgibt zu sein und ob er uns nicht eher durch eine Referenzwüste schickt. Viele Zusammenhänge muss sich der Zuschauer selbst erschließen, beziehungsweise ausdenken. Warum die Bewohner nicht einfach das Haus verlassen, wenn die Zustände des Erträglichen aus unserer Sicht längst überschritten sind? Das weiß niemand. Vielleicht aus demselben Grund, aus dem wir immer noch versehentlich Kleidung kaufen, die von Kindern hergestellt wurde.