Wenn man den Namen Blumhouse liest, denkt man an Horrorfilme. Nicht unbedingt die smartesten, kreativsten, sondern Jumpscare-lastige Fließbandarbeit für ein unerfahrenes, einfach gestricktes oder junges Publikum.
Man vergisst dabei gerne, dass es zahlreiche Ausnahmen gibt (wie wir in unserem Blumhouse-Special schon einmal betonten) und man vergisst, dass Jason Blums Company hier und da auch mal genre-fremdes Material wie den Hunde-/Familienfilm BENJI oder das oscarprämierte Musikdrama WHIPLASH umsetzt.
Obwohl NANNY als Horrorfilm vermarktet wird, können wir jedem, der den Film sehen möchte, vorab empfehlen, jedes Genredenken über Bord zu werfen und nicht auf Gruselmonster aus dem Wandschrank zu warten.
Worum geht es in NANNY?
Die Senegalesin Aisha ist alleine in den USA. Ihren Sohn ließ sie vorerst in der Heimat zurück, will ihn aber schnellstmöglich zu sich holen. Dafür braucht sie viel Geld und beginnt beim reichen New Yorker Ehepaar Amy und Adam als Betreuerin für deren Tochter Rose zu arbeiten.
Bald merkt sie, dass die beiden nicht immer angenehme Zeitgenossen sind, Zahlungen ausbleiben und der Druck ihren Sohn nach Amerika zu holen immer mehr wächst.
Sie beginnt Alpträume zu haben und seltsame Dinge zu sehen. Doch wollen ihr diese Erscheinungen schaden oder ihr helfen?
Erste Erkenntnis: NANNY ist kein Horrorfilm
Auch ich ging an NANNY heran, als würde ich einen gewöhnlichen Horrorfilm sehen, immerhin ist er als solcher auf Amazon Prime deklariert, stellte aber nach rund 40 min fest, dass nicht mal ansatzweise etwas in der Geschichte vorgefallen wäre, was diese Einordnung rechtfertigt. Gleichzeitig fühlte ich mich aber nicht gelangweilt, denn während man dem aktuellen Kino vorwerfen kann, dass es Diversität auf Teufel komm raus forciert, wirkt NANNY in vielen Belangen aus dem Leben gegriffen.
Die Geschichte wirkt nicht so, als hätte man statt der westafrikanischen Immigrantin eine weiße Collegestudentin einsetzen können.
Schaut man etwas genauer hin, sieht man, dass Regisseurin Nikyatu Jusu, die hier ihren ersten Langfilm abliefert, zwar in den USA geboren wurde, ihre Wurzeln aber in Sierra Leone hat.
Dass sich Jusus Werke (wie wikipedia sagt) um die Komplexität schwarzer Frauenfiguren und insbesondere um Immigrantinnen in den Vereinigten Staaten drehen, liegt daher auf der Hand.
Das dann Wesen aus der westafrikanischen Mythologie eine Rolle im Film spielen, ergibt wiederum Sinn und schließt den Kreis auch inhaltlich. Nein, ein derber Horrorfilm ist NANNY deswegen nicht. Wer Mystery als Horror-Light-Synonym verwendet, kann gerne von einem Mystery-Streifen sprechen, ein spirituelles Drama mit Mindfuck-Anteilen, wäre sicher auch nicht falsch. Stilistisch lassen sich wohl ein paar Parallelen zu Filmen wie BLUE MY MIND oder DER NACHTMAHR aufmachen, Filme also, die eine Transformation umschreiben und übernatürlich Ansätze nutzen, ohne damit schocken zu wollen.
Engstirnige Gruselfans könnte NANNY komplett enttäuschen, was sich auch an einer niedrigen IMDB-Wertung wiederspiegelt, die man von einem auf dem Sundance Filmfestival ausgezeichneten Werk nicht unbedingt erwarten würde.
Aber mindestens gilt es anzuerkennen, dass die Schauspieler ganze Arbeit leisten und er durch -zwar teils etwas zu dunkel geratene- professionelle Kameraarbeit besticht. Die Figuren sind meist glaubwürdig, wenngleich Aisha, als jemand die relativ fremd im Land ist und unbedingt auf den Job angewiesen ist, erstaunlich viel Selbstbewußtsein, auch im Umgang mit ihren schrägen Arbeitgebern, an den Tag legt.
Abgesehen von der falschen Vermarktung kann man NANNY sicher vorwerfen, dass er viel will, aber nicht alles relevant ist. Wenn Amy von ihrem harten Arbeitstag erzählt, ist die Message wohl, dass das Jammern auf hohem Niveau sein soll, scheint aber zum einen auszuschließen, dass Gutverdiener ihren Job hassen und trägt zum anderen nichts zur Geschichte bei.
Die zentriert sich -wie wir letztlich erfahren- auf Aisha und ihren Sohn.
Um die Handlung aber komplett greifen zu können, muss man schon länger oder zweimal hinsehen, denn NANNY ruft nicht nur die in der westlichen Welt weitestgehend unbekannten afrikanischen Mythen auf, sondern legt auch eine Symbolik an den Tag, die unterm Strich sinnig ist, aber sich nicht sofort erschließt.
Hier ist vielleicht mehr als ein Blick nötig
Die Kurzform (aber Achtung hier wird geSPOILERt):
Die beiden mythologischen Figuren sollen Aisha tatsächlich auf ein neues, besseres Leben vorbereiten bzw. dahin geleiten. Dass Wasser dabei eine tragende Rolle spielt, verstehen wir, wenn wir gegen Ende das Schicksal ihres Sohnes erfahren. An verschiedenen Stellen sind Augenblicke von Tod und Wiedergeburt versteckt und das ist es, was Aisha selbst durchlebt, aber auch den Tod des Sohnes und die anschließende Schwangerschaft darstellt.
SPOILERENDE
Leider nimmt NANNY viel Zeit für andere Themen und hetzt am Ende regelrecht durch die Erklärung.
Soziale Fragen wie Immigration, Feminismus und Ausnutzung von billigen Arbeitskräften in Ehren, aber die Gewichtung gegenüber des Kerns der Story hätte anders ausfallen dürfen.
Das sind sicher Wachstumsschmerzen, die auf die Unerfahrenheit von Nikyatu Jusu zurückzuführen sind, die meisten Menschen werden sich aber wie erwähnt eher an anderen Ecken stossen.
Fazit: Das Absetzen von Genre-Scheuklappen ist Pflicht, wenn man NANNY genießen will. Auch dann hat der Film einige Probleme, aber auch ein paar gute Argumente, sofern man Sloburn-Mystery mag.