
Was ist das beste Jahrzehnt für Horrorfilme?
Viele würden wohl die 80er wählen. Dabei sollte man aber nicht vergessen, dass viele echte Klassiker eine Dekade früher entstanden. ALIEN, DER EXORZIST, DAS OMEN, HALLOWEEN, DER WEISSE HAI….
Von THE WICKER MAN hört und liest man seltener. Warum das so ist und warum der Film nervt und trotzdem großartig ist, ergründen wir hier.
Wovon handelt THE WICKER MAN?
Polizist Neil Howie erhält einen Brief und ein Foto eines 12jährigen Mädchens, das auf der schottischen Insel Summerisle verschwunden sein soll. Er macht sich alleine mit einem Wasserflugzeug auf den Weg zu dem abgelegenen Eiland und taucht dort in eine fremde Welt.
Von der verschwundenen Rowan Morrison will niemand gehört haben, Spuren führen ins Nichts oder zu neuen Rätseln und die Menschen frönen frivolen Bräuchen, die sich nicht mit den Werten des christlichen Gesetzeshüters übereinbringen lassen.
Kann es sein, dass die Dorfgemeinschaft, die -unterstützt durch den undurchschaubaren Adligen Lord Summerisle- einem heidnischen Kult angehört, Rowan etwas angetan hat?
Was WICKER MAN von den allermeisten anderen Filmen und insbesondere Horrorfilmen abhebt: hier wird gesungen. Zwar nicht aus dem Nichts, sondern meist eingebunden in Handlung und Ort, z.B. in einem Pub, wo ohnehin Musiker und Instrumente anwesend sind, aber dennoch erstaunlich oft, lange und professionell angestimmt, sodass Musical-Elemente eindeutig erkennbar sind.
Für wen das partout ein Dealbreaker ist, es gibt an dieser Stelle wenig zu beschönigen und als jemand, der schon als Kind Disneyfilme mit Musik vorspulte: ich verstehe euch.
Das Dumme ist nur, ignoriert man den ganzen Film, verpasst man was. Denn WICKER MAN greift wie gerne in den 70ern getan, religiöse Grundsätze auf und an. Die Dorfbewohner, deren Glauben man negativ formuliert als Sekte, positiver ausgedrückt als alte Religion mit Naturverbundenheit beschreiben kann, wirken eigen, aber nicht feindselig und dass nahe der Unterkunft Howies lautstöhnende Orgien zelebriert werden, bringen den Hüter von Gesetz und (seiner eigenen) Moral enorm ins Schwitzen. Dabei gibt sich auch die Kameraarbeit zeigefreudig, was wohl auch den Aufbruch der Sitten in der realen Zeit widerspiegelt.
Von Religion, Orgien und gelben Pullovern
Aber natürlich steht das verlorene Mädchen im Vordergrund und auch wenn WICKER MAN auf übernatürliche Elemente verzichtet und oft bei hellem Tag auf jener idyllischen Insel mit viel Meeresblick spielt, wächst die Bedrohungslage. Das liegt an den auch für den Zuschauer oft unverständlichen Riten und Bräuchen, Menschen mit Tiermasken und nicht zuletzt an Christopher Lee, der den exzentrischen Lord spielt.
Lee stand Zeit seines Lebens selten für sympathische Charaktere und auch wenn er hier einen gebildeten, freundlichen und reflektierten Eindruck macht, ahnt man, dass man dem Dracula- und Saruman-Mimen nicht weit trauen sollte.
Man könnte auch seine Frisur oder seine senfgelben Rollkragenpullover als Anlass für Zweifel nehmen, aber die doch sehr 70er-artige Ausstattung ist ein weiteres Manko des Films. Sicher war das zum Zeitpunkt des Erscheinens sehr angesagt, aber blendet zwei Jahre später. Vor allem wenn man bedenkt, dass auf abgelegenen schottische Inseln wohl eher zeitlose Mode aufgetragen wird.
Auch wer THE WICKER MAN bislang nicht gesehen hat, kennt doch vermutlich das Bild der brennenden Holzfigur am Meer. Ohne zu viel zu verraten, kann man diesen Moment als Schlüsselszene des Films benennen, auf den alles hinausläuft.
In THE WICKER MAN trifft smarte Inszenierung auf Musical
Und da wir wirklich nicht zu viel verraten möchten, warnen wir ab hier vor SPOILERN:
denn das Ritual wird den ganzen Film über angedeutet. Vermutlich vom Zuschauer missinterpretiert, mindestens aber von dem Ermittler, mehren sich die Zeichen. Man ahnt allmählich, dass die Naturreligion und die Fruchtbarkeitsriten der Insel-Bewohner nicht ohne Schattenseiten auskommen, begreift aber erst zuletzt, wie perfide all das eingefädelt wurde.
THE WICKER MAN zog 2006 ein Remake mit Nicolas Cage nach sich, das man nur aus Gifs und Memes kennen sollte.
Ein anderer, der sich sichtlich am Originalstoff bediente und das besser machte, war Ari Aster, dessen MIDSOMMAR ebenfalls Außenstehende in eine entfernte Gemeinschaft mit archaischen, heidnischen Bräuchen lockt. Auch dort wirken die Bewohner zuvorkommend, es geht um Fruchtbarkeit, Sex und am Ende werden Menschenopfer in einem lodernden Feuer verbrannt. Im Übrigen platziert auch MIDSOMMAR schon früh Hinweise auf den Ausgang der Geschichte.
Fazit zu THE WICKER MAN
THE WICKER MAN beginnt wie ein Krimi, avanciert aber auch ohne viel Show zum Folk-Horror und wirft immer wieder Musical-Teile ein. Die Musik, das muss man fairerweise sagen, unterstreicht die Stimmung, bleibt aber dennoch gewöhnungsbedürftig.
Eine klare Empfehlung gibt es hingegen für die smarte Story, sowie auch das kluge Hinterfragen von Religion und (Aber-)Glauben aber allemal.
Hier kannst du THE WICKER MAN sehen