Ari Aster hat mit HEREDITARY und MIDSOMMAR gerade mal zwei Filme gedreht, sich damit aber einen Ruf erarbeitet, der seinen Schatten auf das Drittwerk BEAU IS AFRAID wirft.
Wohl niemand erwartet leichte Kost, dafür aber Überlänge und familiären Wahnsinn.
Und all das gibt es zu genüge.
Worum geht es in BEAU IS AFRAID?
Beau ist ein einsamer Mann mittleren Alters, der in einer enorm schlechten Gegend lebt und verschiedenen Ängsten leidet. Als er durch eine Verkettung von Umständen den Flug verpasst, der ihn zu seiner Mutter bringen soll, überschlagen sich die Ereignisse.
Beau wird von einem Auto angefahren, erhält eine Hiobsbotschaft und versucht dennoch die Reise anzutreten.
Um es vorwegzunehmen, die Reise führt Beau zu seiner Mutter und uns Beobachtern erzählt sie aber vor allem über sein Seelenleben.
Joaquin Phoenix (JOKER) spielt die Hauptfigur und beweist einmal mehr, dass er derzeit zu den besten Schauspielern gehört und das nicht nur, weil er Beaus Charakter füllt, sondern auch die wahnwitzigen Vorgaben umsetzte, die Aster ins Skript tippte.
BEAU IS AFRAID trägt eindeutig die Handschrift Ari Asters, waren HEREDITARY und MIDSOMMAR aber schon unkonventionelle, introvertierte Horrorfilme, steckt hier der Horror nur noch in einzelnen derben Gewaltspitzen.
Das Werk gleitet innerhalb von Sekunden von Genre zu Genre, ist Drama, Komödie, surrealer Mindfuck oder eben auch mal Horror und alleine Beau bietet sich als Konstante an. Sympathieträger wäre wohl das falsche Wort, dafür ist der schwerfällig, passive Mann zu bemitleidenswert, aber Phoenix bleibt zwischen Giftspinnen, nackten Amokläufern, Trauerfällen, launischen Teenies und herrschsüchtigen Matriarchinnen stets in seiner Rolle.
„WAS?“
Der Film ist relativ deutlich in drei Akte geteilt, die sich räumlich, optisch und inhaltlich stark voneinander abheben.
Zunächst erleben wir Beau in der Stadt, wo er in einer absurd schlechten Gegend und in einem Apartment wohnt, auf das selbst Jeffrey Dahmer neidisch wäre. Ein Stripclub ist gleich nebenan, vor der Tür regiert das Chaos und als er nach Hause kommt, wartet dort nur eine der Giftspinnen, vor denen die Hausverwaltung warnt.
In Akt 2 kommt Beau bei einem zunächst freundlichen Ehepaar unter, das Tabletten wie M&Ms isst, dafür aber in einer deutlich freundlicheren Umgebung lebt und ihn zu seiner Mutter fahren möchte…wäre da nicht die heimtückische Teenagertochter, die für den Gast ihr Zimmer räumen musste und ein im Garten lebender Kriegsveteran.
Als Beau aus der Bleibe fliehen muss, landet er kurz bei einer im Wald lebenden Theatergruppe, was zu einer der unwirklichsten, traumhaftesten Sequenzen des Films führt.
Zuletzt findet Beau nach Hause, wo ihn manche Überraschung, aber auch Erlösung erwartet.
Wer nun der Auffassung ist, dass die letzten Absätze spoilerisch wirken, hat BEAU IS AFRAID nicht gesehen, denn es wäre auch mit 5000 Worten kaum möglich das abzubilden, was Aster hier erschaffen hat.
Aus persönlicher Sicht kann ich behaupten, dass mir aus gleich drei Gründen der Mund offenstand:
1. Aufgrund lauten Gelächters
2. Aufgrund ungläubigen Staunens
3. Aufgrund eines herzhaften Gähnens
Letzteres liegt schlicht an einer Laufzeit von etwa drei Stunden, die trotz des zweifelsohne komplexen Stoffs nicht nötig gewesen wäre. Das surreale Theaterstück hätte man wohl gleich ganz weglassen können, denn so liebe- und kunstvoll es auch ausgearbeitet wurde, bringt es die Geschichte nur sehr bedingt voran.
Natürlich würde Ari Aster das anders sehen und vermutlich hat er recht. Ob man seine Filme mag oder nicht, Aster weiß was er tut und sein Schaffen steckt voller Symbolik und (mehr oder minder versteckter) Details.
So sollte man schon zu Beginn des Films einen Jungen im Auge behalten, der nicht zufällig auf einem Flohmarkt mit einem Spielzeugboot hantiert und von seiner Mutter zurechtgewiesen wird.
BEAU IS AFRAID sorgt für offene Münder
Man sollte auch nicht glauben, dass die auffällig vielen Szenen in denen Wasser vorkommt, zufällig entstanden. Oder dass ein menschengroßer Penis nur deswegen im Film ist, weil Aster für 30 Sekunden Adam Sandler–artigen Pimmelhumor frönen wollte.
Man kann hingegen geteilter Meinung sein, ob es jedes foreshadowing und verklausulierte Andeutung gebraucht hätte, um einen letztlich doch simplen Sachverhalt aufzuzeigen.
Und da dies das Kernstück von BEAU IS AFRAID ist, setzen wir hier dann doch mal eine SPOILERwarnung:
Beau leidet an seiner übermächtigen Mutter, die im wörtlichen wie übertragenen Sinn sein Leben kontrolliert, sowie einer unterdrückten Sexualität.
Mit diesem Wissen kann man zwar leichter zuordnen, dass die erwähnte Giftspinne als Symbol für eine zornige Mutter steht, aber so wie Aster in MIDSOMMAR wieder und wieder betonte, dass Danis Freund ein Unsympath ist, wiederholt er sich auch in BEAU IS AFRAID auf verschiedene Weise.
Natürlich finden sich weitere Parallelen zu früheren Werken und auch wenn diesmal niemand verbrennt, sehen wir Beau wie Dani in MIDSOMMAR nur ein einziges Mal lächeln. Der grundsätzliche Fokus liegt aber einmal mehr auf den Abgründen von Familien.
Mag sein, dass deine Familie crazy ist, aber eines ist klar: wenn auch nur ein Bruchteil dessen, was Ari in seinen Filmen verarbeitet, biografisch ist, willst du keinen Familiengeburtstag bei den Asters verbringen.
Übrigens wird nicht aufgeklärt, welche der grotesken, skurrilen und bizarren Ereignisse, deren wir Zeuge werden, sich wirklich ereignen und welche womöglich nur eine Angstfantasie des paranoiden Beaus sind.
Es ist aber zumindest zu vermuten, dass wir Zuschauer die Dinge durch den Filter eines überängstlichen Verstands wahrnehmen.
Fazit:
BEAU IS AFRAID beginnt mit einem irrwitzigen ersten Akt, der mit großartigen Details, dunklem Humor und Tempo gespickt ist, verliert dann aber zunehmend an Fahrt.
Ari Aster ist ein Künstler und seine besonderen Geschichten verdienen es erzählt zu werden. Er ist aber niemand, der auf den Punkt kommen kann. BEAU IS AFRAID hätte jedenfalls auch problemlos in 30 oder 45 Minuten weniger vorgetragen werden können.
Wer mit A24-Filmen im allgemeinen oder Asters Streifen im Speziellen bisher schon seine Probleme hatte, kann einen weiten Bogen um diesen Film machen, aber auch Fans von Elevated Horror und Arthouse, könnten das ein oder andere Element kritisch sehen.
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