Die Hochzeit des italienischen Horrorkinos der 60er bis 80er Jahre war eine besondere Phase. Stilistisch vollmundig, oft lasziv und so gewalttätig, dass einiges bis heute im Giftschrank der Jugendschützer schmorrt, ließ sich kaschieren, dass handwerklich einiges im Argen lag und Drehbücher oft wie naive Kunst wirkten.
BERBERIAN SOUND STUDIO nimmt uns mit in diese Zeit, bedient sich ähnlicher Stilmittel, geht dabei aber ganz anders vor als man es vermuten möchte, entzaubert den Glanz jener Zeit und gibt ihm doch neuen Glanz zurück.
Wovon handelt BERBERIAN SOUND STUDIO?
Der englische Tontechniker Gilderoy reist nach Italien, um die Nachbearbeitung des Films THE EQUESTRIAN VORTEX zu betreuen. Dort angekommen wird er nicht eben mit offenen Armen empfangen. Schnell wird deutlich, dass erhebliche Unterschiede in Arbeitsweise, Kultur und natürlich Sprache bestehen. Zudem handelt es sich bei THE EQUESTRIAN VORTEX anders als der Titel (ungefähr: der Pferdewirbel) vermuten lässt nicht um einen Film über Pferde, sondern einen grausamen Horrorfilm. Für den unbedarften Gilderoy ist das Neuland und er versinkt immer tiefer in einem Strudel aus Wahnsinn und Gewalt.
Einmal im Jahr sprechen wir über unterbewertete Horrorfilme und fragen uns bei dieser Gelegenheit auch, wieso sie so wenig beachtet werden. BERBERIAN SOUND STUDIO tauchte noch in keiner dieser Listen auf, gehört aber dazu und der Grund für seine relative Anonymität ist aus gleich zwei Gründen offensichtlich. Es gibt ihn nicht mit deutscher Synchro und Horrorschauwerte hat er auch nicht. Die eben erwähnte Gewalt findet nur in THE EQUESTRIAN VORTEX, dem Film im Film statt.
Man mag noch hinzufügen, dass der Hauptdarsteller kein hübscher Student Anfang 20 ist, der im Laufe der Story eine heiße Romanze mitnimmt, sondern ein unscheinbarer Mann mittleren Alters mit wenigen Haaren, dessen Sozialkontakte aus Briefen seiner Mutter bestehen.
Der wird von Toby Jones gespielt, einem vielseitigen Schauspieler, den man von Genrefilmen wie THE RITE, DER DENKWÜRDIGE FALL DES MR. POE oder THE MIST kennt.
Das hier auf Gemüse eingestochen wird oder Obst am Boden zerschellt, mag auf den ersten Blick belustigend wirken, doch mit den saftig-knirschigen Geräuschen werden die grimmen Szenen untermalt, die sich in THE EQUESTRIAN VORTEX zutragen. Jenem Film, von dem wir zum Leidwesen des voyeuristischen Horrorliebhabers wenig zu sehen bekommen, aber genug erfahren, um die Fantasie zum Leuchten zu bringen.
Was wir aber bemerkenswerterweise von diesem Werk sehen, ist der komplette Vorspann und zwar ziemlich zu Beginn von BERBERIAN SOUND STUDIO, also einem Zeitpunkt, wo dieser seinen eigenen Vorspann zeigen sollte. Dies ist bereits ein erster Hinweis, wie sehr sich Film und Film-im-Film im Laufe der nächsten 90 Minuten vermischen werden.
Entdeckenswerte Details finden sich überall, beispielsweise auch beim Flugticket, das Gilderoy als Teil seiner Auslagen gerne erstattet haben möchte, dafür immer wieder verwiesen und vertröstet wird, bis Zuschauer und Protagonist dem Irrsinn naherücken und sich zuletzt fragen, ob es diesen Flug überhaupt gab.
Für die Haupthandlung spielt das keine große Rolle, ist aber so bezeichnend wie das immer weiter verrottende Obst, das als Metapher für Geisteszustand aber auch den Verfall der Sitten im Studio verstanden werden kann.
BERBERIAN SOUND STUDIO ist ein fiktives Making Of eines Horrorfilms
Denn nicht nur im zu bearbeitenden THE EQUESTRIAN VORTEX ist die Umgangsform rau, auch hinter den Kulissen ist das so. Da sind der übellaunige Produzent Francesco, der exzentrische Regisseur Santini, einige Synchronsprecherinnen, die meist nur möglichst gekonnt schreien sollen und schlecht behandelt werden, die unfreundliche Sekräterin Elena, sowie diverse Randfiguren, die scheinbar nach Belieben ein- und ausmarschieren.
Aus diesen Menschen entsteht eine eigenwillige Mischung von toxischer Arbeitsbeziehung, bei der es auch zu sexuellen Übergriffen kommt (was wiederum auch für THE EQUESTRIAN VORTEX gilt) und „La dolce vita“, wo sich schon mal ein gut gelaunter Macho zu den Frauen in die Sprecherkabine drängt oder Hunde durchs Studio irren.
Es ist nicht überliefert, ob Regisseur/ Autor Peter Strickland sich detailliert über die wahre Entstehung von italienischen Horrorfilmen jener Zeit informierte, aber wenn man sich die oft schludrigen (wenngleich stilsicheren) Ergebnisse ansieht und daraufhin BERBERIAN SOUND STUDIO schaut, entfährt einem unwillkürlich ein „Ja, genau so muss es zugegangen sein“.
Wenngleich wie bereits erwähnt, BERBERIAN SOUND STUDIO visuelle Gewalt für sich behält, ist er eine Augenweide. In dunklen, aber warmen und kontrastreichen Vintage-Bildern entsteht trotz der eingeschränkten Location und nahezu ohne Außenaufnahmen nie Langeweile.
Star des Films sind aber eben die Sounds und deswegen ist es auch von Bedeutung, das Werk im Originalton zu sehen. Wer hier über fehlende Synchro klagt, hat nichts verstanden.
Fairerweise muss man sich dennoch die Frage stellen, ob hier nicht Style over Substance herrscht, aber bei welchem Italo-Horror war es denn anders? Strickland folgt mit seinem Meta-Film damit letztlich nur bereits bestehenden Pfaden und verneigt sich vor ihnen.
AN ITALIAN FILM?
Beim Blick aufs Filmposter wächst ein schrecklicher Verdacht. Kann es sein, dass das Motiv an das von A SERBIAN FILM erinnert?
Und kann es sein, dass es weitere Parallelen gibt? Immerhin werden in beiden Fällen Filmprofis zu einem ungewöhnlichen Projekt gerufen und tun im Laufe der Geschichte Dinge, die sie nicht für möglich hielten. Lauscht man zudem den Worten der beiden Regisseure (hier Santini, bei A SERBIAN FILM Vukmir), könnte man denken, dass sie jeweils das größte Kunstwerk sein der Mona Lisa erschaffen, wohingegen in beiden Fällen rasch klar wird, dass der Film im Film bloß ein exploitatives Stück Gewalt ist.
Während man darüber streiten mag, ob BERBERIAN SOUND STUDIO selbst als Horrorfilm betitelt werden kann (selbst die Verantwortlichen widersprechen dem in Interviews) oder nicht das Genre „fiktives Making Of“ erfunden werden muss, bleibt Strickland doch immer in Horror-Nähe und während er keine eindeutige Auflösung liefert, lässt sich doch der Verdacht herauslesen, dass Gilderoy durch seine Arbeit an THE EQUESTRIAN VORTEX seelischen und geistigen Schaden nimmt (beispielsweise spricht er in Träumen (?) plötzlich fließend italienisch) und selbst Teil des manipulativen Systems wird, dem er zu Beginn merklich skeptisch gegenübersteht.
Dem Horror-Genre erweist Strickland damit auf den ersten Blick einen Bärendienst, denn die alte Mär von „Horror, Metal und Ballerspiele machen dich zum Psychopathen“ wird damit wieder ein Stück weit befeuert. Mehr als ein Jahrzehnt nach Erscheinen lässt sich aber wohl festhalten, dass das Genre den Angriff verkraftet hat, was auch daran liegen dürfte, dass alles, was BERBERIAN SOUND STUDIO eventuell als Message transportiert, dezent vorbringt und mehrere Schlussfolgerungen zulässt.
Fazit zu BERBERIAN SOUND STUDIO
Aus all diesen Gründen ist er ein verstecktes Meisterwerk, das einfach gestrickte Gelegenheitsschauer naturgemäß abschreckt, aber Freunde von Italo-Horror, audiovisuelle Ästheten oder einfach Filmfans abholen sollte.
Hier kannst du BERBERIAN SOUND STUDIO sehen
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