Willst du einen Film, der in eine einzelne Schublade passt? Dann ist RED ROOMS nicht dein Freund, denn der reißt so einiges an. Er öffnet außerdem Falltüren in unsägliche Abgründe, steigt aber nicht hinunter, sondern erzählt dir nur so viel davon, dass du heute Nacht darüber nachdenkst.
Was ein titelgebender Red Room ist, spricht hingegen für sich: ein Ort im Darknet, an dem Menschen für einen zahlenden Kundenkreis gefoltert, misshandelt, getötet werden (mehr Infos dazu hier)
Wovon handelt RED ROOMS?
An einem solchen Ort hat Serienmörder Ludovik Chevalier drei Teenagerinnen grausam ermordet. Das wird ihm zumindest vorgeworfen, weswegen er vor Gericht steht.
Dort beginnt auch die Geschichte, wo die Anwälte ihre Eröffnungsplädoyers halten und die morbide Fantasie des Zuschauers stimulieren. Dort begegnen wir auch dem dünnen kleinen Mann, dem die Taten vorgeworfen werden und der in einem Glaskasten sitzt und während des ganzen Films kein Wort sprechen wird. Er mag der Bösewicht der Story sein, er ist aber nur ein Aufhänger und als Person so unscheinbar, wie sein Äußeres.
Stattdessen begleitet die Geschichte zwei Dauergäste bei den Verhandlungen: die gänzlich unterschiedlichen Kelly-Anne und Clementine. Während Clementine davon überzeugt ist, dass Chevalier unschuldig ist, sind Kelly-Annes Beweggründe tiefgründiger.
Sie ist die Hauptfigur dieser Geschichte und neben ihrer Faszination für makabre Verbrechen, ist sie Model, Hackerin, Pokerspielerin und liebt Squash. Wie das alles zusammengeht, bzw. in den gleichen Charakter passt, entblättert RED ROOMS (im Original übrigens LES CHAMBRES ROUGES) Stück für Stück.
Eine Reise in Abgründe
Hierin sind Elemente des Horrors, Psycho-, Serienmörder-, Gerichts- und Cyberthriller, Drama und Charakterstudie enthalten, andererseits wird keine der Taten im Bild gezeigt, der (potentielle) Killer tritt kaum auf, die Gerichtsverhandlung verliert zunehmend an Bedeutung und auch alle anderen Elemente werden nicht vollumfänglich bedient.
So wenig sich der Film auf ein einzelnes Genre reduzieren lässt und, so wenig linear gestaltet sich auch die Handlung selbst.
Mal mag man glauben, dass hier mit dem Thema Vorverurteilung bzw. den skurrilen Auswüchsen einer Fanwelt gespielt wird, man mag Medienkritik entdecken, Hinweise auf die Gefahren der neuen Medien und und und….
Am Ende lebt die Handlung aber nicht von einer zentralen Message, sondern verwebt diese auf natürliche Weise, was zwar ein ungewöhnliches Ergebnis liefert, aber dabei gar nicht angestrengt erscheint.
RED ROOMS ist ein Film aus Kanada und der Look ist traditionell kühl und nüchtern, wie man das etwa auch von den Cronenbergs kennt. Schon im Gerichtssaal, der ziemlich zu Beginn für eine lange Szene mit wenigen Schnitten der Schauplatz ist, scheint grau die aufregendste Farbe.
Nein, RED ROOMS ist nicht farbenfroh und das Thema bietet auch keinen Platz für Humor.
Das schließt allerdings kauzige Augenblicke, wie ein Anruf von Clementine in einer Live-Talkshow zum Thema nicht aus.
RED ROOMS könnte ein Geheimtipp bleiben
RED ROOMS ist ruhig, er ist leise und wie angedeutet ist Horror nur das, was die Schilderung der Staatsanwältin und ein paar Tonfragmente der Videos in eurer Fantasie daraus macht. Seinen Thrill zieht er nur selten aus einzelnen Szenen. Es gibt keinen Killer, der mit gezücktem Messer ums Haus schleicht. Und selbst wenn Einzelmomente Spannung aufkommen lassen, sind diese ungewohnter Natur. Wer hätte etwa gedacht, dass man Poker und Snuff-Videos zusammenbringen kann?
RED ROOMS ist auch kein Film, der dir etwas erklärt, indem er immer wieder darauf zeigt. Selbst in den Dialogen gibt sich Kelly-Anne wortkarg (wohingegen die lebhafte Clementine immer von einem Schwall an Worten umgeben ist) und wir müssen uns zusammenpuzzeln, was ihre Intentionen sind.
Gleichzeitig versetzt uns der Film auf die Geschworenenbank. Aus deren Perspektive sehen wir eingangs die Staatsanwältin und den Verteidiger in die Kamera sprechen und in einer ähnlichen Lage befinden wir uns später, wenn die verschiedenen verfrühten Meinungen auf uns einprasseln. Clementine auf der Fanseite des Angeklagten, die trauernden, wütenden Eltern der Mädchen auf der Gegenseite und die Medien, die nach intimen Details lechzen oder in einer Unterhaltungssendung darüber Späße machen.
Fazit zu RED ROOMS
Es bleibt auch 2024 dabei: wenn du Genrefilme sehen willst, die du nicht schon kennst, bevor du sie überhaupt gesehen hast, führt in Deutschland kaum ein Weg am Fantasy Filmfest vorbei.
RED ROOMS ist eines dieser eigenen und auch eigenartigen Werke und lief auf dem FFF Ableger White Nights.
Es ist ein in jeder Sicht ungewöhnlicher Film, mit Perspektiven, die man so gewöhnlich nicht sieht. Es ist aber auch ein Film, von dem ich genau deswegen nicht verwundert wäre, wenn eine reguläre Veröffentlichung auf sich warten ließe.
Vielleicht täusche ich mich, aber für den Moment flüstere ich mal „Geheimtipp“ in den Raum.
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