Wir müssen reden: Der Zustand des Horrorfilms 2024

der zustand des horrorfilms 2024

Wie gefiel euch das Horrorfilmjahr 2023?
Habt ihr viele Filme gesehen, die neu, einzigartig und nie dagewesen sind? Oder war euer Highlight SAW X, SCREAM 6, THE NUN II, INSIDIOUS: THE RED DOOR, MEG 2, EVIL DEAD RISE oder EXORZIST: BEKENNTNIS?
Um hier gar keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, nicht alle der genannten waren Katastrophen, manche sogar solides Entertainment.

Vielleicht verzieht ihr aber beim ein oder anderen Titel die Mundwinkel und denkt euch: „da gab es aber schon bessere Teile“ oder „es ist an der Zeit aufzuhören“ oder „mal wieder was Neues zu starten wäre toll“.
Davon ist nicht in allen Fällen auszugehen. Es sind zwei weitere EXORZIST-Streifen geplant und wir müssen da alle durch. Die EVIL DEAD – Reihe soll regelmäßiger neues Futter bekommen und da THE NUN zum CONJURING-Universum gehört, wird auch dort bald nachgelegt.

Und wenn ihr Spaß an diesen Filmen und Reihen habt oder einfach Gelegenheitsschauer seid…gut für euch.
Auch sollte man nicht denken, dass früher ausschließlich gute Filme gedreht wurden, während heute alles schlecht ist, im Gegenteil. Wann immer jemand die 70er und 80er über den grünen Klee lobt, erinnere ich daran, dass dies einen Zeitraum von 20 Jahren abbildet, während im einzelnen Jahr schon immer nur stets eine Handvoll toller Filme entstanden. Die sind heute noch im Gedächtnis, die vielen Ausfälle sind oft vergessen.

Trotzdem: 2023 musste man trotz hoher Quantität die Qualität schon mühsam suchen.
Über 1.500 Horrorfilme erschienen 2023 (und das schließt Serien, Kurzfilme oder verwandte Genres wie Thriller nicht mal ein). Nur, was nützt die Menge, wenn die Ergebnisse fehlen? Oft wirkte das kraftlos, schon mal dagewesen, uninspiriert.

Wir waren an diesem Punkt schon einmal. In den 90er Jahren. Der Markt war voll mit B-Ware oder den x-ten Fortsetzungen (die auch B-Ware waren).

Auch in den 90ern war nicht alles schlecht (siehe hier). Einiges sogar richtig gut. Immerhin gab es BRAINDEAD, EVENT HORIZON und genügend weitere Beispiele, um diese Zeilen auf den ersten Blick zu widerlegen und ein tristes Jahrzehnt im Rückspiegel gut dastehen lassen.
Wer aber dabei war, weiß, dass die 90er als Ganzes ziemlich abstanken.

videothek

Manches bleibt durch die nostalgische Brille betrachtet vielleicht wertvoll. Ja Leute, wir liebten alle den Geruch von Videotheken, aber die Dinger sind nicht verschwunden, weil ihr dort immer noch hinrennt.
Ihr habt vielleicht auch glorreiche und picklige VHS-Jugenderinnerungen an JASON GOES TO HELL, HALLOWEEN 6 oder NIGHTMARE ON ELM STREET 6, die späten Ausläufer von Filmreihen, deren Originale Klassiker sind. Die besagten Fortsetzungen sind aber ungeliebte 90er-Kids aus erster Ehe, die man nur deswegen noch auf den Familiengeburtstag einlädt, weil man sich sozial verpflichtet fühlt.

Und für jeden DAS SCHWEIGEN DER LÄMMER, THE CROW oder SIEBEN (die man alle auch anderen Genres zuordnen könnte), gab es mehrere HOUSE IV, CRITTERS 3, FRIEDHOF DER KUSCHELTIERE 2 oder THE MANGLER.

leprechaun 4

Wie wir wissen wurde die Lage irgendwann wieder besser:
Die 90er erfuhren Mitte des Jahrzehnts einen Aufwind durch die von SCREAM ausgelöste Welle der Meta-Slasher und bekamen ganz zu Ende des Jahrzehnts mit BLAIR WITCH PROJECT einen Vorgeschmack auf die Found Footage – Welle der 00er Jahre.
Plötzlich wurden auch internationale Märkte greifbarer und nicht nur der J-Horror der späten 90er Jahre (RINGU, JU-ON, AUDITION) schwappte über, sondern auch andere Länder griffen vermehrt ins Geschehen ein.
Diese Ereignisse liegen aber großteils schon im neuen Jahrtausend und der Found Footage-, New French Extremity- oder Torture Porn-Trend ist wieder vorbei.

Aber woran liegt es, dass Grusel und Horror 2023 heute plump und einfallslos erscheint? Liegt es am guten alten „denen fällt nichts mehr ein“, das sich als beliebte Deppen-Phrase und Abkürzung für alles nutzen lässt, was vermeintlich im Horror falsch läuft?
Fällt „denen“ nichts mehr ein, außer Fortsetzungen, Reboots, Remakes, den immergleichen süßen Familien, die zu Beginn in alte Häuser ziehen und den erwähnten Slasher-Killern im Rentenalter?
Nein! Wer ab und zu mal ein Buch in die Hand nimmt, weiß, dass es etliche Geschichten bekannter und weniger bekannter Horrorautoren gibt, die einfallsreicher sind als 90% des Jahres 2023 und bisher nie verfilmt wurden.

Sie sind satt

Wenn sich Produzenten dann doch mal dazu durchringen einen Roman zu adaptieren, sieht es oft so aus:
Nehmen wir mal den bekanntesten Horrorautor Stephen King, so wurde dessen ES 2x, CARRIE 3x, FRIEDHOF DER KUSCHELTIERE 2x, SHINING 2x, BRENNEN MUSS SALEM 2x und FEUERKIND 2x adaptiert.
Warum? Weil es schon einmal funktionierte.

pennywise abwasserkanal

Dahingegen liegen DIE AUGEN DES DRACHEN, TODESMARSCH, INSOMNIA, DAS MÄDCHEN oder TALISMAN in staubigen Schubladen.
Fairerweise sei gesagt, dass es zu einigen dieser Titel seit Jahren Gerüchte über eine mögliche Verfilmung gibt. Außerdem erschien letztes Jahr zum Beispiel MR. HARRIGANS PHONE.
Dennoch: da reden wir über Stephen King, dessen Buchadaptionen ein „sure thing“ sein müssten. Andere namhafte und lange etablierte Autoren mit Fangemeinde wie Dean Koontz, Clive Barker, Anne Rice, Dan Simmons oder Jack Ketchum werden noch stiefmütterlicher behandelt.

Der Grund: Man möchte nichts riskieren. Eine Zweit- oder gar Drittverwertung von Barkers HELLRAISER ist einem feigen aber geizigen Studioboss leichter nahezubringen, als der bisher unverfilmte und weitestgehend unbekannte Roman GÖTTIN DES TODES von Dan Simmons (das ist übrigens eine Leseempfehlung).
Das ist geschäftlich sogar nachvollziehbar, denn MEG 2, THE NUN II, 5 NIGHTS AT FREDDY’S (der immerhin kein Sequel ist) und INSIDIOUS 5 waren die erfolgreichsten Horrorfilme im deutschen Kino 2023.

Man möchte natürlich heutzutage auch gesellschaftlich nichts riskieren. Ein FROM DUSK TILL DAWN würde 2023 wohl eher wie die zahnlose Serie als der politisch-inkorrekte Film aussehen, der halbnackte, lasziv-tanzende Frauen und Behindertenwitze zur Schau stellte.
Vielleicht ist es gut, dass mit Harvey Weinstein auch gleich ein paar Altherren-Tropes weggesperrt wurden, aber es ist nun mal nicht zu verleugnen, dass ein gelegentliches Über-die-Stränge-schlagen auf der Leinwand (!) abwechslungsreicher und glaubwürdiger ist, als die permanent bemüht gleichgeschalteten Casts und Geschichtchen mit stets sauberer Ausdrucksweise.

from dusk till dawn www.thrillandkill.com
Was machte die Horrorfilme der letzten Jahre aus?

Seit einiger Zeit haben wir nicht nur die oben genannten Fortsetzungen, wir haben auch die sogenannten Legacy-Filme, was edler klingt, aber am Ende doch nur eine Mischung aus Sequel und Remake ist….also alte Ideen mit alten Gesichtern.

A24 machen seit rund 10 Jahren „ihr Ding“ (siehe hier) und bilden den Gegenpol zu filmischen Fastfood, das uns Blumhouse (auch die haben Ausnahmen, siehe hier) meist vorsetzt. Man gibt sich dort Mühe Qualität zu liefern, kann aber darüber streiten, ob Werke wie BEAU IS AFRAID oder MEN nicht dem eigenen Anspruch zum Opfer fallen und durch übertriebene Sperrigkeit, Überlänge oder dicker Message kaum noch Entertainment und teils auch kaum noch Horror sind.
A24 ist also keine neue Welle, aber wie von dort zu hören war, will man sich auch Filmen öffnen, die nicht den „Achtung, ich bin anspruchsvoll“-Aufkleber auf der Stirn tragen. TALK TO ME könnte in dieser Hinsicht ein guter Startpunkt gewesen sein.

Mit HAPPY DEATHDAY begann 2017 eine Mini-Welle an Slasherfilmen, die sich merklich an sanftere Hollywoodklassiker anlehnen.
HAPPY DEATHDAY erinnerte natürlich an …UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER, 2020 kam FREAKY (FREAKY FRIDAY) und letztes Jahr folgten TOTALLY KILLER (ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT) und IT’S A WONDERFUL KNIFE (IST DAS LEBEN NICHT SCHÖN).

happy-deathday

Diese Filme waren alle relativ unterhaltsam, aber wie die Legacy-Filme stülpten sie die bekannten Themen meist einfach nur über ein bekanntes Slashergerüst und verwendeten teils sogar identische Gags wie die Vorbilder. Wenn ich ZURÜCK IN DIE ZUKUNFT-Sprüche haben will, schau ich mir dann doch lieber Marty McFly an und so gerne ich persönlich auch einen guten Slasher habe, Ideenreichtum ist deren Stärke (wenn überhaupt) meist nur bei den Kills.
Trotzdem: Ehre wem Ehre gebührt und auch wenn diese Crossovers nicht beliebig fortführbar sind, machten die meisten Spaß.

Neue Horror-Trends 2024?

Natürlich wissen wir nicht, welche großen Würfe irgendwo im Verborgenen lauern und vielleicht überraschend das Bild des Horrors wandeln, aber momentan hat sich der Horror-Truck in einem von Angst zerfurchten nassen Acker festgefahren.
Aber dies soll ja kein reines Gejammer sein, sondern nur eine Bestandsaufnahme und dazu gehört auch einen Blick auf den Abschleppwagen zu werfen, der die Karre aus dem Sumpf zieht.

Eine Sache, die 2023 ihren Anfang nahm und uns in den kommenden Jahren sicher öfters verfolgen wird, ist die Verarbeitung von kindgerechten Figuren wie Pu der Bär. Das liegt daran, dass in den USA einige Urheberrechte auslaufen.
Eine Horrorauswertung für Bambi und auch Micky Maus ist für 2024 bereits angekündigt, ein zweiter Teil von WINNIE THE POOH: BLOOD & HONEY sowieso.
Das kann man mögen oder nicht, aber es passt ins Bild und WINNIE THE POOH: BLOOD & HONEY hätte sich auch gut in einer 90er-Videothek neben anderen B-Filmen wie LEPRECHAUN und GHOULIES 4 gemacht, ohne auch nur im geringsten aufzufallen.

WINNIE THE POOH BLOOD AND HONEY 2 pooh is back

Thematisch passen diese Kindheitsfiguren aber vielleicht ganz gut in das, was uns erwarten könnte, denn immer wieder mischen sich seit einiger Zeit Fantasy- und Märchenelemente in den Horror, wie etwa in CURSE OF THE PIPER, BOOGEYMAN – ORIGINS und sogar TERRIFIER 2.

Da Märchen traditionell in Büchern beheimatet sind, wird der weiter oben eingeworfene Wunsch nach mehr Romanverfilmungen vielleicht doch wahr. Und mit James Wan wagt sich 2024 einer an eine Literaturadaption, der der Filmindustrie in den letzten Jahren viel, viel Geld einbrachte. Wan zog drei hypererfolgreiche Franchise groß und will sich 2024 H.P. Lovecrafts DER RUF DES CTHULHU annehmen.

Lovecraft-nahe Verfilmungen gibt es immer wieder, aber nicht jeder Octopus ist ein Cthulhu.
Zwar ist von James Wan eine massengerechte Aufbereitung zu erwarten, aber sein Talent und seine Zugkraft ist unbestritten, komplett neu ist Lovecraft natürlich auch nicht und es wird wirklich Zeit, dass mehr Lovecraft auf die Leinwand kommt.
Vielleicht entsteht hieraus ein Lovecraft-Trend. Vielleicht ein Trend, der zu weiteren Adaptionen (klassischer) Literatur führt…oder auch nicht.

cthulhu by thrillandkill 24

Eine Sonderstellung nehmen übrigens Serien ein, die in diesem Artikel nicht im Fokus stehen, aber auch nicht ignoriert werden können. Immerhin werden gerade über die großen Streaminganbieter viele Serien angeboten und wenn z.B. ein Mike Flanagan DER UNTERGANG DES HAUSES USHER als Serie umsetzt, fehlt der Mann beim Film.
Dass junge, aufstrebende Film-Regisseure nach dem ersten Achtungserfolg zu größeren, aber dadurch auch flachen Produktionen gezogen werden, ist auch ein Thema, das es zu erwähnen gilt, das wir aber noch mal separat betrachten werden. Exemplarisch sei aber mal Ben Wheatley genannt, der mit KILL LIST, SIGHTSEERS oder FREE FIRE einige hübsche kleine und vor allem kreative Filme drehte, bevor er seine Seele an Hollywood verpachtete, um das Scheusal MEG2 auszuspucken.

Fest steht derzeit nur, dass 2023 kein Glanzjahr für den Horror war und wenn sich das erst mal auf die Besucher- und Verkaufszahlen niederschlägt, der Horrorfilm als Ganzes Schaden nehmen könnte. Hoffen wir also, dass sich 2024 Kreativität gegenüber angezogenen Handbremsen durchsetzt.

 

 

 

 

One thought on “Wir müssen reden: Der Zustand des Horrorfilms 2024

  1. Danke für den schönen Rückblick. Ich schaue auch schon seit Anfang der 90er Genrekino. Über diese Distanz gab es einige Highlights und viel, sagen wir mal, Zeitverschwendung.
    2023 hat mich, wie ihr schon schreibt, Men / Talk to me / When evil lurks echt seit langem mal wieder (kurz) sprachlos gemacht.
    Lasst uns hoffen das wir ähnlich gutes 2024 zu sehen bekommen.

    P. S. Bin noch sprachlos nachdem ich heute We are the Flesh gesehen habe. Kein reines Genrekino und auch nicht aus dem letzten Jahr, doch sehr sehenswert wenn man offen genug dafür ist.

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